Das Staunen war gross, als Velopflock mitten in der Sommerpause ankündigte, eine Velopause einlegen zu wollen. In einem tollkühnen Selbstversuch plante ein grosser Teil der Velopflock-Hauptredaktion, volle zwei Wochen lang auf jegliche Nutzung des Fahrrads zu verzichten. Die zwei Wochen sind längst um, der Selbstversuch zu Ende. Ein Report über ein angekündigtes Scheitern – und warum das ein durchschlagender Erfolg ist.
Der Versuch hatte so vielversprechend begonnen: die Tage eins bis fünf verbrachten die Probanden vorsichtshalber in totaler Abgeschiedenheit in einer äusserst einfach eingerichteten Waldhütte an einem See mit einem nicht auszusprechenden Namen (dieser ist der Redaktion auch gar nicht bekannt) in Mittelfinnland. Hier einen Sattel zwischen die Schenkel zu kriegen wäre vermutlich die grössere Leistung gewesen, als es daheim nicht zu tun. Für die Tage sechs bis zwölf wurde in ein anderes Versuchslabor in ähnlicher Umgebung gewechselt. Das brachte eine fiese Verschärfung der Versuchsanordnung mit sich: Direkt vor der Behausung stand – ein Fahrrad. An dieser Stelle wäre die Berichterstattung eigentlich zu Ende, denn der geneigte Velopflock-Follower (welcher von den beiden mag denn nun gemeint sein?) hat es bereits am letzten Post bemerkt: Dieses Fahrrad wurde von einem der Probanden benutzt. Als Kunstobjekt nämlich für ein sorgfältig arrangiertes Stillleben mit Bartflechte. Allein damit wäre der Versuch im engeren Sinn gescheitert. Wir wollen da keine weiche Auslegung der Versuchanordnung beanspruchen.
Das Scheitern ging aber noch weiter. Am zweitletzten Tag der Versuchsphase, eigentlich bereits auf der Rückreise in die Zivilisation, zerbröselte die Disziplin der Versuchteilnehmer wie ein Radreifen nach zehn Jahren an der Sonne auf 8’000 Metern über Meer: nämlich vollständig. Um die grossartige, lebensfrohe, lichtdurchflutete und überaus lebenswerte Stadt Helsinki samt ihren gefühlten dreihunderttausend Kilometern Radwegen wenigstens ein bisschen anzuschauen, wurde ein Fahrrad gemietet.
Und auch gefahren. Nun war der Versuch gescheitert, deut- und kläglich, dazu stehen wir, der Mensch ist wohl einfach nicht dazu geschaffen, zwei Wochen ohne eine derart hilfreiche Einrichtung wie das Velo auszukommen, war eigentlich ähnlich absehbar gewesen wie der heutige Sonnenaufgang.
Wie so manches wissenschaftliche Experiment vorher hat aber auch dieser Selbstversuch ein nützliches Nebenprodukt gezeitigt. Nämlich die Erkenntnis, dass der Mensch ein vernunftbegabtes Wesen ist und sich in Momenten äusserster Not und Gefahr auf seine Ratio verlassen kann. So war es ein grossartiger Sieg der Vernunft, in einer fremden Stadt, die man für nur einen Tag besucht und die über so prächtige Velowege, -streifen und -wegweiser verfügt, mit einem Velo eine Runde zu drehen. Ein Sieg über Prinzipienreiterei, Arbeitswut und Ehrgeiz. Hurra!
Dass der Mensch vernunftbegabt ist, ist zugegebenermassen keine neue Einsicht, nur leider eine, die angesichts von Castingshows, wissenschaftlichen Studien von Autoversicherungen über das Radfahren oder Geldforderungen der Autolobby gerne in Vergessenheit gerät. Umso mehr darf man sie immer wieder mal hervorholen und aufpolieren. Halt genauso wie das Velo.
„Man muss verstehen, die Früchte seiner Niederlagen zu ernten.“ / Otto Stoessl, österreichischer Schriftsteller (1875-1936)
Wie wahr! Danke, das werde ich mir ab heute fest zu Herzen nehmen. Auch wenn es das nächste Mal darum gehen wird, eine Kettenschaltung exakt einzustellen.