Bünzlis on Bikes

Es kommt immer wieder vor, dass die Weltgeschichte unerwartete Sprünge macht. Nicht selten kommen dabei Bewegungen oder Prozesse zu einem raschen Ende, die grosse Hoffnungen für ein moralisches, ästhetisches, technisches oder wie auch immer geartetes Fortkommen der Menschheit geweckt hatten. Beispiele, die einem da spontan in den Sinn kommen, sind die Abwahl Christoph Blochers aus dem Bundesrat oder das Verschwinden der Floppy Disk. Die Dauerwelle bei männlichen Teenagern oder ein Sprung eines Schweizer Skispringers.

Nun scheint leider auch eine der moralisch, ästhetisch, technisch oder wie auch immer betrachtet vornehmsten und erhabensten Lebenserscheinungen des modernen Menschen ihrem abrupten Ende nahe. Richtig, das Velofahren. Wieso das denn? Es trug sich nämlich zu, dass in einem Schweizer Blog ein Eintrag mit dem Titel „Achtung, Bünzlialarm!“ erschien. Darin dachte die Autorin darüber nach, woran man an sich selber die Symptome fortschreitender Bünzliwerdung erkennt (Einschub für allfällige Leser aus Deutschland: Ein Bünzli ist in etwa ein Spiesser). Ein edles Ansinnen, in der Tat, dachte ich. Betrifft mich aber nicht weiter, denn, wie ein Kommentator später ganz recht bemerkte, sind die wahren Bünzlis die, welche partout keiner sein wollen. Trotzdem fiel mir auf, dass in dem relativ kurzen Eintrag zweimal das Wort Velo vorkommt. Unter den neunzehn untrüglichen Anzeichen für galoppierende Bünzlifizierung (Zufall, dass das wie Gentrifizierung tönt?) haben zwei mit Velofahren zu tun. Nun stehen Bünzli und Velofahrer in meinem Weltbild in keinem kausalen Zusammenhang. Im Gegenteil, betrachtet man Werbefilme, Möbelprospekte oder Modezeitschriften, sind darin in letzter Zeit mehr Fahrräder abgebildet als in einem Fahrradmagazin. Velofahren ist so schick wie nie, weshalb Velos in der Werbung neben IKEA-Möbeln, in Nichtraucher-Cafés und (doch!) BMW-Showrooms stehen. Ich las also trotz schwerster Bedenken und entgegen jeglicher Vernunft weiter und erfuhr: Ein Bünzli ist (auch schon bis zur Unerträglichkeit gespannt?),

Besipiel 2.: …wer sich in der Nacht als Autofahrer über Velofahrer ohne Licht aufregt („du hast jetzt gerade Dein Leben riskiert, du Depp!“)
Beispiel 11: … wer als Velofahrer immer bei Rot anhält.

Aufatmen. Die Rad Fahrenden an und Pfirsich sind also noch nicht vom Bunz bedroht. Die Nachricht ist sogar besser als Aufatmen: Regelverstösse auf dem Fahrrad sind geradezu cool, ähnlich stylish wie das Velo selber! Ich nehme jetzt mal an, die Reihenfolge der Aufzählung ist willkürlich und nicht dem Grad der Bünzlifizierung entsprechend. Könnte aber schon sein, weil Autofahren an sich ist nämlich schon oberbünzlimässig, wie die neusten Mobilitätsstatistiken zeigen. Die reflexartige und uneigennützige Sorge um das Wohl des andern, des Deppen also („Huch, was fährst Du aber auch ohne Licht durch die Nacht, Du stösst Dir noch den Ellbogen!“), ist erst recht spiessig. Ein Autofahrer, der sich um andere Verkehrsteilnehmer sorgt, ist aber ein Paradoxon im engeren Sinne und müsste folgerichtig aus dem Wettbewerb disqualifiziert werden. Ein Paradoxon taugt irgendwie nicht zum Bünzli.

Nur mässig bünzlig, ein Hobby- oder Feierabendbünzli sozusagen, ist weiter, wer – was für ein Langweiler!  – an einer Ampel anhält, damit all die Lastwagen, Züribergtraktoren und Renntöffs von links und rechts durchbrettern können, bevor er oder sie mit seinem vor Knautschzonen nur so strotzenden Carbon- oder Aluross über die Kreuzung zuckelt. Die Rangierung dieses Symptoms immerhin im Mittelfeld ist ein untrügliches Zeichen dafür, dass die Autorin aus der Fixieszene kommen muss. Unter dieser Spezies ist Lebensmüdigkeit bekanntlich weit verbreitet, vermutlich ähnlich weit wie das Ignorieren von Rotlichtern. Das Fahren mit Starrlauf, ohne Bremse, ist ja ein weiteres Phänomen, das sein Verfalldatum überschritten zu haben scheint. Wenn das mal unsere Autorin wüsste. Dann würde sie das Rotlicht wohl weiter oben auf der Bünzliskala platzieren. Vielleicht würde sie ganz bünzlimässig, aber natürlich unbemerkt von ihren Szenegenossen, einen Freilauf und eine Bremse montieren lassen (ich bin jetzt etwas verunsichert und weiss nicht recht, ob selber schrauben oder der Gang in die Werkstatt bünzliger ist).

Ich meinerseits halte auch in Zukunft an Rotlichtern an. Erstens, um den Bünzlidetektoren zu zeigen, wie bünzlig ich sie finde. Und zweitens, weil da draussen einfach noch zu viele Kilometer auf mich und mein Velo warten, um jetzt schon auf irgendeiner Kreuzug für immer mit Fahren aufzuhören.

3 Gedanken zu “Bünzlis on Bikes

  1. Ich hab mir mal Nina Merlis Liste von Bünzlisymptomen angeschaut. Von den 16 Symptomen treffen bei mir nur die zwei mit den Velos zu. Juhui, ich bin ein Velobünzli!

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