Vergeblicher Kampf mit dem Ellbogen

…oder wie ich mir jahrzehntelang das Rennvelofahren selber verdorben habe.

Das Velo ist nicht nur eine Glücksmaschine, sondern auch ein Denkmotor. Letzteres hat einerseits damit zu tun, dass durch die körperliche Betätigung mehr Sauerstoff ins Hirn gelangt, was dessen Tätigkeit anregt. Andererseits kann, wer Velo fährt, ungestört seinen Gedanken nachhängen und so Ideen gebären und Probleme lösen – eine ungefährliche Umgebung vorausgesetzt, natürlich. Wer sich ständig gegen Randsteine, Kurven oder Autos wehren muss, hat nicht viel Zeit zum Grübeln.

Umso erstaunlicher ist es, dass ich erst kürzlich auf einen Gedanken gekommen bin, der mir seit fünfunddreissig Jahren mein Leben hätte erleichtern können. Das geschah zwar, als ich am Sitzen war, aber erstaunlicherweise nicht auf dem Velo, sondern am Computer. Und so kam es dazu:

Die Früchte meiner harten Trainingsarbeit im Winter, Frühling und Sommer erntete ich vor wenigen Wochen im Herbst, als ich eine Woche lang mit dem Rennrad in den französischen Alpen unterwegs war. Einige Berge, die wir hochfuhren, sind sehr prominent unter Rennvelo-Fans. Deshalb stehen dort unterhalb des Gipfels jeweils mehrere Fotografen verschiedener Unternehmen. Ihr Geschäftsmodell: Sie fotografieren dich mehrmals, rennen dir darauf ein paar Meter hinterher und stecken ihre Karte, auf der Datum und Uhrzeit deiner Passage vermerkt sind, in die Trikottasche. Zu Hause finden sich so leicht die richtigen Fotos unter den Tausenden, die täglich hochgeladen werden. Dann kann man sein Foto ausgedruckt oder digital kaufen, für ein hübsches Sümmchen, versteht sich.

Der Neugierde halber suchte ich bei mehreren Anbietern meine Fotos raus und stiess unter anderem auf dieses Bild hier vom Mont Ventoux:

20191015_214344.jpg

Man könnte auf den ersten Blick auf die Idee kommen, dass mein rechter Unterarm durch einen Photoshop-Anfänger nachträglich eingefügt worden sei, denn er sieht ja schon ziemlich unnatürlich abgewinkelt aus. Bloss, welche Motivation könnte da dahinter gesteckt haben? Eben, mir fällt auch nichts ein. Hingegen weiss ich, dass ich häufig beinahe einen Krampf im Rücken oder Nacken kriege, wenn ich etwas aus einer der seitlichen Trikottaschen fischen muss. Besonders gerne geschieht das, wenn ich schon einige Stunden am Fahren bin. Es ist auch schon mehrmals zu Beinahe-Stürzen gekommen deswegen. Das Foto ist also mit Sicherheit unverfäscht, was die Haltung des Unterarms betrifft.

Die bizzar anmutende Körperhaltung gab mir dennoch zu denken, als ich vor dem Bildschirm sass. Und dann fiel es mir wie Schuppen aus den Haaren: Der schmerzhafte Prozess könnte doch umgangen werden, indem der rechte Arm in die linke, der linke umgekehrt in die rechte Tasche greift. Und in die mittlere steckt man am besten gar nichts, was man im Fahren benötigen könnte. Sofort schlüpfte ich in das Radtrikot, das auf dem Bild zu sehen ist, versuchte, die gebückte Haltung des Rennvelofahrers zu simulieren und probierte das aus. Und es funktionierte! Übers Kreuz liessen sich beide Seitentaschen viel leichter bedienen. Ich war so begeistert von dieser Erkenntnis, dass ich im Freudentaumel gleich ein kleines Poster von obigem Bild orderte. Das weltweite Netz ist ein fieses Biotop für begeisterungsfähige Menschen wie mich.

Gleich darauf wurde ich aber nachdenklich. Wie doof kann man denn sein? Wieso war ich nicht früher auf diese Idee gekommen? Seit siebenunddreissig Jahren fahre ich mehr oder weniger regelmässig Rennvelo, fast von Anfang an mit Trikots, welche Taschen auf dem Rücken hatten. Früher , also sechzigerjahre-früher, da waren die Taschen ja vorn, und das hatte, wie wir nun wissen, seinen Grund.

Poblet
(Foto: The Horton Collection)

Natürlich nahm man früher weniger Krimskrams mit auf eine Trainingsfahrt. Kein Smartphone, weil es noch keins gab, keine Kreditkarte, weil nicht jedermann eine besass, keinen Organspenderausweis, weil man nicht so ängstlich war wie heute. Keine Armlinge, weil man mehr Biss hatte, keine Verpflegung aus demselbem Grund, kein Geld, weil man ja trainieren und nicht ausgehen wollte. Die Verstauchungen begannen deshalb erst später in meinem Radfahrerleben. Aber früh genug, dass ich mir gewünscht hätte, den Kreuzgriff eher entdeckt zu haben. (Übrigens bin ich sehr zufrieden mit dieser Bezeichnung, denn der Griff findet ja im doppelten Sinn übers Kreuz statt!)

Die Kehrseite der Medaille gibt es aber auch: Was habe ich nur für Freunde, die mir diesen Tipp nie gegeben haben in all den Jahren? So kann man sich täuschen in den Menschen. Hätte ich den Kreuzgriff bloss nicht entdeckt.

Und nun noch ein Nachtrag zum Blogpost über Geräusche am Fahrrad: Auf einer Radtour der velopflock-Redaktion äusserte ich kürzlich grosse Zufreidenheit darüber, dass die mechanische Scheibenbremse an meinem Gravelbike nach mehreren Besuchen beim Mechaniker nun endlich wieder funktioniere, und zwar ohne Geräusche. Ich schwöre hier und jetzt auf meinen liebsten Fahrradsattel, und es gibt Zeugen dafür, dass die Bremse beim nächsten Bremsvorgang wieder zu schleifen begann! Bis heute hat sie nicht wieder aufgehört damit. Velos teilen sich ihren Fahrern also nicht nur mit. Sie hören ihnen auch zu. Ich werde deshalb meine Zunge künftig besser hüten beim Velofahren. Das kommt auch meiner altersbedingt abnehmenden Ausdauer zupass.

2 Gedanken zu “Vergeblicher Kampf mit dem Ellbogen

Willst du einen Kommentar hinterlassen?