Heute war Velobörsentag in der Schweiz. Nicht weniger als vier Velobörsen listet allein der Kalender der Lobbyorganisation Pro Velo Schweiz für dieses Wochenende auf. Ich habe der Meute ein Schnippchen geschlagen und habe eine fünfte Börse besucht, organisiert vom Frauenverein in unserem Nachbardorf. Was ich dort alles erlebt habe. (Eine Velobörse ist ein Gebrauchträder-Markt, an den man seine nicht mehr benötigten Velos schleppen kann, und am Ende nimmt man sie wieder nach Hause, weil man sich im Preis verspekuliert hat. Dies nur zur Information für unsere Freunde im Hunsrück, im Spessart oder im Storman. Ich liebe deutsche Landschaften, nicht nur zum Angucken oder drin essen, sondern allein schon zum Aussprechen. Schauen Sie sich, wenn Sie Schweizer sind, mal im Internet eine Deutschlandkarte genauer an, das lohnt sich wirklich!)
Wider meiner gefühlten Wahrnehmung werden meine Kinder grösser und grösser. Deshalb standen bis heute Morgen in unserem Velobunker Velos, die inzwischen auch dem Kleinsten zu sind. Vor der Abfahrt wischte ich nochmal rasch über alle drei Räder, die ich zu Markte rollen wollte – damit ich auch sicher die zehn, 60 bzw. 150 Franken einstreichen würde,die ich mir als Preis ausgedacht hatte. Man kann ja nicht immmer nur Geld ausgeben für Velokram! Da muss auch mal was reinkommen von der Seite!
Nicht ohne Wehmut fuhren zwei unserer Kinder ihre alten Velos zur Börse (das dritte schob ich, falls Sie am Mitrechnen sind, sie alte Pedantin). Die Turnhalle war bereits voller in Reih und Glied aufgestellter Räder, als wir zum ausgeschriebenen Zeitpunkt der Türöffnung ankamen.
Ich schaute mich um. Nein, verstecken musste ich unsere Ware nicht. Wir hatten gut zu ihr geschaut und mussten uns nicht als Wucherer fühlen. Unser Schlagerangebot war diese Perle hier:
Ich würde mich prügeln darum. Nabendynamo, Nabenschaltung und nur hundertfünfzig Stutz! Im letzten Moment vor der Abgabe kam ich deshalb nochmals in Versuchung, doch etwas mehr zu verlangen. Oder vielleicht etwas weniger, damit ich am späteren Nachmittag sicher nicht mit Altmetall den Heimweg würde antreten müssen? Zufrieden verliessen wir die Halle (ob all den Velos, die zu sehen waren, vergassen die Kinder ihre Wehmut und verschwendeten keinen Blick mehr an ihre alten Kameraden).
Bis ich den Zaster abholen konnte, blieben mir nun noch vier Stunden. Genug, um nach Hause zu fahren und den wieder prächtig leeren Velobunker mal gründlich zu wischen, Mittagessen zu kochen und im Supermarkt einholen zu gehen. Auf der Treppe kam mir noch eine bessere Idee: In der Schlange stand ein Herr mit zwei Einrädern in den Händen. Kurzentschlossen kaufte ich ihm eines davon ab, unter dem Jubel meiner Kinder. Meine Frau würde kochen, und ich meine nicht das Mittagessen, das war mein Job heute. Egal, so ein Einrad braucht ja auch nicht viel Platz. Weniger als halb so viel wie ein Zweirad, schätzte ich. Beschwingt zog ich durch den Supermarkt und legte in meiner guten Laune auch das eine oder andere Extra in den Wagen.
An der Bushaltestelle befiel mich erneut ein Geistesblitz. Hatte es in dem Dorf nicht einen Fahrradhändler? Und war meine Trainingsrolle nicht mehr oder weniger im Eimer? Ich checkte die Uhr, wies die Kinder an, den Einkauf zu hüten und rannte los. In Rekordzeit hatte ich das Angebot an Rollen überblickt (eine) und mit dem Verkäufer einen Rabatt ausgehandelt. Rechtzeitig war ich zurück an der Bushaltestelle. Nicht zuletzt, weil in dem Laden die Rennpedale am Weg zur Kasse lagen und ich so ohne weiteren Zeitverlust ein Paar erstehen konnte.
Zu Hause angekommen, versuchte ich gar nicht erst, meine Frau von der Qualität meiner Einkäufe zu überzeugen, sondern labte mich an den strahlenden Gesichter unserer Brut. Ich war sehr zufrieden mit mir. Nach dem Mittagessen reichte es sogar noch für einen Mittagsschlaf, bevor ich – diesmal mitmeinem Velo und allein – wieder ins Nachbardorf aufbrechen musste, um das ganze Geld abzuholen. Glücklicherweise leben wir in einer recht sicheren Gegend. Dass am Horizont Wolken aufgezogen waren, war mir nicht aufgefallen:
So fuhr ich noch recht entspannt vor der Turnhalle vor, nur um festzustellen, dass ich den Termin für die Auszahlung um zwanzig Minuten verpasst hatte. Aber nicht etwa, weil ich zu lange für die Fahrt gebraucht hätte, um das gleich klar zu stellen. Ich hatte bloss die Uhrzeiten durcheinander gebracht. Die Rechnungsführer hatten aber ein Einsehen mit mir und händigten mir meinen Erlös abzüglich zwanzig Prozent Kommision trotzdem noch aus. In der Halle stand noch ein einziges Rad, ein blau-weisses Kinderrad der Marke Puma, nicht unähnlich dem welches ich eben für 60 Franken verkauft hatte. Verkauft zu haben glaubte. Wie konnte das sein? Es war ein äusserst tüchtiges Rad! Damit waren meine Kinder durch den Jura, an den Bodensee und sogar nach Strassburg gefahren. Es war ohne Fehl und Tadel, abgesehen von der fehlenden Rückleuchte und dem Rumpeln im Hinterrad, welches von einem verschlissenen Lager herrührte. Aber von so einem Lager geht doch keine Gefahr aus. Es bedeutet nur ein kleines bisschen Zusatzreibung, und Kinder haben schliesslich Energie zum Versauen. Vielleicht hätte ich den Zettel mit dem Hinweis auf diesen kleinen Mangel nicht auf den Sattel kleben sollen. Dabei stand auf dem Zettel auch, dass die Bremsen frisch gemacht waren! Ich bin einfach zu gut für diese Welt, und das hat mich heute sechzig Franken gekostet:
Obendrauf stand ich nun vor dem Problem, dass ich alleine vor zwei Velos stand, Meilen von zu Hause, durch ein Tal (eine weite Mulde, könnte man sagen) getrennt von fast allem, was mir etwas bedeutet (mein Hauptvelo hatte ich ja bei mir, immerhin). Die Organisatoren weigerten sich, mein nicht verkauftes Rad auf eigene Kosten zu entsorgen. Also setzte ich mich verwegen in den Sattel des grösseren Velos und fuhr beide heimwärts. Unterwegs grübelte ich, was ich nur mit dem Puma machen sollte. Würde ich es in den Velobunker zurückstellen, hätte die ganze Aktion herzlich wenig gebracht, sowohl raum- als auch geldmässig. Weitere Erklärungen zu Handen meiner Frau wären nötig gewsen, und das zu Recht. Zum Glück kam mir der Bahnhof in den Sinn. Ich fuhr hin und kettete das Puma an. So würde ich etwas Zeit zum Nachdenken gewinnen. Im schlechtesten Fall steigt am nächsten Wochenende in der nächsten Stadt die nächste Velobörse, und ich würde mit dem Zug hinfahren. Das Rad ab geben. Und wieder nach Hause fahren. Und am späteren Nachmittag wieder hinfahren und das Geld abholen. Sechzig Franken. Oder?
Und wenn du einfach zum Bahnhof fährst und die Kette wieder wegnimmst? Die ist ja auch fast 60 Stutz wert.
Da kennst du meine Schlösser aber schlecht. Ausserdem hab ich das mental nicht drauf, einen treuen Gefährten unserer Familie einfach auszusetzen. Das bring ich nicht. Könntest du das?
Nein. Aber versuchter Verkauf ist auch schon grenzwertig.