Der dutch reach kann your Leben saven!

Man kann über den englischen Einfluss auf die deutsche Sprache denken, was man will (wie man in der Schweiz oder in Deutschland ja allgemein ziemlich alles denken kann, was man will). Zum Beispiel, dass bald niemand mehr den anderen versteht, wenn wir nicht sofort aufhören, Wörter aus dem Englischen oder Amerikanischen auszuleihen, oder umgekehrt, dass die Leute sowieso nur noch Produkte und Dienstleistungen kaufen oder in Anspruch nehmen, wenn sie einen englischen Namen tragen. In der Veloindustrie herrscht letztere Ansicht vor, wie bei allen Trends, und Velofahren liegt ja schliesslich im Trend. Englische Einsprengsel sind also nicht per se schlecht oder gut. Hier ein Best-Practice-Beispiel.

Es gibt gute Gründe, bewusst einen englischen Begriff zu verwenden. Zum Beispiel, wenn eine geläufige  deutsche Übersetzung nicht verfügbar ist. Ein hübsches Beispiel aus der Welt des Fahrrads ist das In-eine-spontan-sich-öffnende-Autotüre-reindonnern. Mir ist das glücklicherweise noch nie passiert, denn mein in einem solchen Fall sicherlich arg lädiertes Hirn hätte seine liebe Mühe, auf dem Formular der Unfallversicherung den Unfallhergang einigermassen knapp und doch verständlich zu schildern. Denn ich lebe in der Schweiz, und darum fühle ich mich irgendwie verpflichtet, ein Schadenformular auf Deutsch auszufüllen. Das ist so eine Marotte von mir. Würde ich in Amerika leben (keine Sorge, auch heute vermeide ich das T-Wort; lieber schreibe ich dreimal hintereinander „fuck“: fuck, fuck, fuck – auch so ein Leihwort. Es wird Zeit, es zurückzugeben, aber sagen Sie das mal meinen Kindern!), würde ich also mein Schadenformular auf Amerikanisch ausfüllen, würde ich dann einfach „I’ve been doored on 2nd Avenue“ schreiben. Die Amerikaner machen vieles nicht gut, aber sich knapp und prägnant ausdrücken, das können sie. So kann ich mein Bike nach einer staubigen oder schlammigen Tour in Amerika (oder Kanada; ich weiss nicht, wie’s mit Grossbritannien steht) einfach downhosen (hose down, wörtlich übersetzt, wenn auch sinnloserweise: abschlauchen). Ich kann eine Umfrage rickrollen: beeinflussen, indem ich ganz viele Menschen anstifte, die Umfrage in meinem Sinn zu beantworten. Mit dem Velo eine Strasse entlang zigzaggen, und das braucht jetzt nicht mal eine Übersetzung. Oder eben, ein Auto bzw. sein Insasse kann mich dooren, indem sie oder er mir seine Türe ansatzlos vor den Latz knallt, wenn er auf einem Parkfeld längs einer Strasse just dann aussteigt, wenn ich daher pedalt komme. Dooring nennt man das in den U.S. of A., und es ist kein indisches Gericht.

cyclelicio.us
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Die Amis gaben uns Dooring, und sie geben uns nun das Gegenmittel: den niederländischen Griff. Vielleicht auch das holländische Greifen. Jedenfalls the dutch reach. Ich habe ihn zufällig im Netz gefunden, in einem Design- und Architektur-Podcast. Inzwischen gibt es sogar eine Website zum dutch reach. Und gehen tut er so: Will ich vom Fahrersitz aussteigen, nachdem ich längs an einer Strasse parkiert habe, müsste ich mindestens in den Rückspiegel gucken, ob da nicht ein Velo in der Anfahrt ist. Besser noch blicke ich über meine linke Schulter. Viele Leute vergessen das aber, wie Unfallstatistiken belegen. Oder sie sind zu bequem, was ich auch verstehe, denn in diese modernen Autos hat man ja kaum noch Platz. Wenn ich nun aber mit der rechten, weiter von der Tür entfernten Hand zum Türgriff greife, statt mit der linken drehe ich meinen Oberkörper automatisch so weit nach links, dass ich ohne grosse Anstrengung den Velokontrollblick machen kann.

dutreachfoto

Gewöhnt man sich das erst einmal an, doort man bald niemanden mehr, und das erspart einem dann doch auch viel Arbeit, weil kein verletzter Radfahrer mehr ins Krankenhaus gebracht, keine Autotür mehr gerichtet und keine unangenehmen Fragen von der Versicherung mehr beantwortet werden wollen. So einfach ist das. Diese Manöver nennt man offenbar the dutch reach, auf holländische Weise greifen. Klingt gut, finde ich, und es würde mich nicht wundern, wenn er nicht im Mutterland des zivilisierten Radfahrens erfunden worden wäre, sondern nur aus werbestrategischen Überlegungen so heisst. Übrigens gibt es auch das Linsverkehr-Pendant dazu, den australian reach. Er geht ganz ähnlich, nur dass ¨links¨ dann ¨rechts¨ heisst und mangels Velofahrer das Ganze nicht so recht Sinn macht.

Also: gewöhnen wir uns den dutch reach an und machen so die Welt ein kleines bisschen besser und sicherer. Und wenn das klappt, machen wir zusammen den grossen Schritt und gewöhnen uns den global reach an: rechten Arm nach dem Autoschlüssel am Schlüsselbrett ausstrecken, Hand zwei Zentimeter nach rechts schwenken und den Veloschlüssel packen.

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