Auch in unserer schnelllebigen und sich rasant auf allen Ebenen wandelnden Zeit gibt es Konstanten, auf die man zählen kann. Darunter sind die Schwerkraft, die Sonnenbahn und der Stau im Baregg-Tunnel. Und die unermüdlichen Bemühungen der Beratungsstelle für Unfallverhütung (bfu), dem Veloverkehr die ganze Verantwortung für seine eigene Sicherheit alleine aufzubürden. Dabei kann sich die bfu auf potente Unterstützung verlassen.
Oops, they did it again, ging mir durch den Kopf, als ich im Radio von der neuesten bfu-Kampagne zur Reduktion des Veloanteils am Individualverkehr hörte. Die bfu (die uns noch immer glauben machen will, man könne…) ist ja berühmt für ihre Leuchtstift-Kampagne mit der Message „Wer nicht mit grotesker Leuchtkleidung aus dem Haus geht, der ist wirklich selber schuld, wenn er nachher totgefahren wird. Also echt, Leute!“ Mir schwante darum nichts Gutes, als ich den Computer anknipste und die Suchmaschine mit bfu Velofans fütterte. Und ich wurde nicht enttäuscht. Um die Leichtsinnigsten unter uns Menschen besser vor den Unbilden der Natur zu schützen, tun die Werber das Naheliegendste: sie setzen Tiere ein. Warum auch nicht! Tiere sind süss, lieb und kuschelig. Ausgewählt wurden drei Experten, die sich mit der gewaltigen Naturgefahr namens Auto am besten auskennen, die crème de la crème des Roadkill, sozusagen: Hirsch! Frosch! Hauskatze! Sie wissen, was es heisst, unter einen Kühlergrill zu geraten, der sich mit 80 km/h bewegt. Wie es sich anfühlt, unter sich entfernendem Motorengeräusch auf den Asphalt zu klatschen, seine eigenen Knochen brechen zu hören, zu erkennen, dass einem auch die besten Instinkte und Reflexe nichts nützen gegen eine Maschine. Scherz! Wissen tun sie das selbstverständlich nicht, denn sie haben ihre Erfahrungen längst mit in die Tierkadaver-Sammelstelle genommen. Diese drei tierischen Experten müssen wir also wohl als Augenzeugen aus dem Jenseits betrachten. Jovial sprechen sie uns Menschen als „Velofans“ an. Ich mag das wirklich!



Ich bitte um Entschuldigung für die drastische Beschreibung der Gedanken, die ich beim Anblick der Plakate habe. Aber die Bilder sind auch befremdend: Da stehen Tiere auf einer bedrohlich-finster aussehenden Strasse und sprechen zu Menschen, die – velofahren! Sie wenden sich nicht etwa an die Menschen hinter dem Steuer, welche die Tiere bald platt machen, da sie ja eben nicht in der glücklichen Lage sind, eine Leuchtweste anziehen zu können.
Nochmal zum Mitschreiben: Autoverkehr tötet jährlich ziemlich viele Wildtiere (2020 waren das gemäss dem Schweizerischen Bundesamt für Statistik 21 Rehe, 17 Füchse und sieben Dachse pro Tag), und diese werden dann verwendet, um eine weitere gefährdete Gruppe von Verkehrsteilnehmern auf die Leichtsinnigkeit ihres Aufenthaltes auf der Strasse aufmerksam zu machen, damit sich die Menschen am Steuer nicht am Ende noch aufs Steuern konzentrieren müssen.
Die Kampagne propagiert den dicksten Knüppel, der ausserhalb des Autos für die Sicherheit der Menschen eingesetzt werden kann: Die gute alte Leuchtweste! Sie ist in unserem Alltag allgegenwärtig und aus unserem Leben schwieriger wegzudenken als das Smartphone, die Geschirrspülmaschine oder das Klischee, Velofahrerinnen seien Öko-Fundis. Bauarbeiter tragen sie. Parkplatzanweiserinnen tragen sie. Jäger auf Treibjagd ebenfalls (gerne über Tarnkleidung), und natürlich mögen auch Krippenkinder auf ihrem Neun-Uhr-Ausflug durchs Quartier partout nicht auf sie verzichten.
Die bfu-Saga geht also weiter: Egal, woher Gefahren auf der Strasse kommen – Handlungsbedarf und Verantwortung liegen allein bei den potenziell Betroffenen, nicht bei der Quelle der Bedrohung. Der Veloverkehr wird daher angehalten, Helm, Leuchtweste, Reflektoren, LED-Flutlicht und vielleicht auch gleich eine Abstandskelle zu verwenden. Das geht seit Jahren so. Interessanterweise gehen die Kollisionen zwischen Auto und Velo trotzdem nicht zurück.
Wie könnte die bfu jetzt noch nachlegen? Kampagnenseitig geht nicht mehr viel. Der Gesetzgeber allerdings könnte einspringen und das Velofahren auf öffentlichen Strassen rundweg verbieten (höre ich da vereinzelten Applaus aus den Rängen des Bundesparlaments?). In der Praxis ist es heute ja schon ziemlich schwer, zwischen den Dörfern und Städten mit dem Velo unterwegs zu sein, das verbildlicht die Velofans-Kampagne korrekt. Die Frage sei daher gestattet: wenn die Strassen, die wir haben, für einzelne legale Benutzergruppen so gefährlich sind, weshalb bauen wir uns dann keine neuen, besseren, oder gar separierten Strassen für die betreffenden Nutzergruppen, wo doch diese sowieso ein Riesenärgernis für die Personen-Kraftwagen, darstellen? Eine interessante Frage, der in einem anderen Post nachgegangen werden soll. Sonst gibt es heute ja keinen Feierabend mehr.
Während die bfu gern den optischen Zweihänder benutzt (siehe oben), arbeitet eine andere Organisation wesentlich subtiler, aber möglicherweise effektiver: die Gesamtheit der Polizeiorganisationen, insbesondere jener Teil davon, der mit der Medienarbeit zum Thema Unfallgeschehen betraut ist. Sein Vorgehen ist simpel, aber auf den ersten Blick gar nicht so durchsichtig. Und so funktioniert es: In den Medienmitteilungen zu Verkehrsunfällen mit Velobeteiligung suggeriert – grammatisch korrekt – bereits der Titel, dass das Fahrrad schuld war an der Kollision. Zwar zeichnet der Text danach oft ein anders Bild, aber, unter uns gesagt, wer liest im Internetzeitalter schon ganze Polizeimitteilungen, über den Titel hinaus? Dazu reicht den meisten von uns doch die Zeit ebenso wenig wie die Aufmerksamkeitsspanne. Genau gleich geht es den Newsrooms der Zeitungen, welche die Medienmitteilung der Polizei ungelesen und mehr oder weniger und unverändert übernehmen. Das sieht dann so aus (die Zeitung Südostschweiz war so hilfsbereit, am 10. Februar 2023 gleich zwei Exempel untereinander abzudrucken, so dass unsere Redaktion sie nicht einmal einzeln ausschneiden und zusammenkleben musste – besten Dank, Kollegen!):
Die Verwendung des Fahrrads als Subjekt in der Titelzeile erweckt den Eindruck, dass der Fehler, der zum Unfall führte, beim Velolenker und der Velolenkerin gelegen habe. Im Text wird dann deutlich, dass im ersten Beispiel das Auto in den Kreisel einbog und den sich bereits dort befindlichen Velofahrer zu Fall brachte. Im zweiten Beispiel bog ein Autofahrer nach links in eine vortrittsberechtigte Strasse ein und schnitt der von links kommenden E-Bikerin den Weg ab. Aber der Radfahrer, der Trottel, wurde angefahren, und die inkompetente E-Bikerin hat sich verletzt, die blöde Kuh. Warum nur schreibt die Polizei derart tendenziöse Schlagzeilen? Interessanterweise war kurz vor Erscheinen dieser beiden Meldungen die neue Ausgabe des velojournal erscheinen, und sie enthielt mit einem Artikel zu dieser Thematik, der weitere leicht verständliche Beispiele enthält. Solche sind mit Bestimmtheit auch in jeder anderen Schweizer Tageszeitung binnen Wochenfrist zu finden – achten Sie mal drauf.
So, und nun lehne ich mich zurück und warte frohgemut auf die bfu-Kampagne, welche Personen am Lenkrad eines Personen-Kraftwagens mit der Tatsache bekannt macht, dass der Blick aufs Smartphone während dem Autofahren töten kann. Rehe, Füchse, Dachse und Menschen.
Guten Tag und erneut herzlichen Dank für die sehr lustige und veranschauliche Aufforderung, sich als Velofahrer zu schützen. Ein wenig Schwierigkeiten habe ich jedoch mit der Ver-/Beurteilung der Polizei Pressemeldungen, die nach meiner Meinung neutral und unparteiisch abgehalten wurden. Vielleicht hab ich da aber auch nur eine versteckte Pounte übersehen 😏
Danke für ihre kritischen und sehr lesenswerten, sowie fürs Velofahren inspirierenden Beiträge
Vielleicht ist man tatsächlich überkritisch in dieser Sache. Für mich lesen sich die Beispiele (und viele mehr, die ich gesammelt habe), aber auch ‚zu sachlich‘: „es kam zu einer Kollision“ tönt halt einfach so, wie wenn das unvermeidbar gewesen wäre. Dabei hat ja explizit ein:e Autofahrer:in ein vortrittsberechtigtes Velo angefahren – es liegt also ein klares Verschulden vor. Sich dann kommunikativ hinter einer falschen Neutralität zu verstecken, erinnert fast schon an die Schweizer Aussenpolitik …
Stünde ab und zu auch mal „Auto bringt Velofahrerin zu Fall“ oder „Auto und Velo kollidieren im Kreisel“, dann sähe ich das vielleicht auch so. Tut es aber nicht. Ich hab drauf geachtet. Vermutlich ist das nicht mal Absicht, sondern Ausdruck einer komplett autozentrierten Weltsicht, dass immer das Velo Ursache eines Zwischenfalls im gewünschten glatten Fluss der Autolawine.