Wer regelmässig die Website des kleinen Fahrradherstellers Rivendell Bicycle Works aus Walnut Creek, Kalifornien, besucht, kann seinen Horizont, was Fahrräder angeht, wunderbar erweitern. Zumindest gilt das für uns Europäer, denn typische Rivendell-Fahrräder sind für unsere Augen sicher gewöhnungsbedürftig. Farben, Beschriftung, Geometrien und Aufbau sind so anders als bei uns:
Der Gebrauch der Fahrräder in den vielen Fotos, Texten und Videos der Kalifornier mag uns ungewohnt erscheinen. Sie tragen keine Sport- oder Leuchtbekleidung, fahren auf allen Arten von Wegen und Strassen und haben meistens Taschen dabei. Es steckt viel Denkarbeit in diesen Velos. (Ein weiteres Mal sei hier das Standardwerk des Rivendell-Gründer Grant Petersen erwähnt – Achtung, die Lektüre kann ihr Weltbild verändern, denn das Buch hält, was sein Untertitel verspricht: A radically practical guide to riding your bike. Sagen Sie hinterher also nicht, sie seien nicht gewarnt gewesen.)
In den Newsletters von Rivendell wird immer wieder berichtet, wie einer ihrer Angestellten lange genutztes Velo mit neuen Rädern, neuem Gepäckträger, neuem Lenker versieht oder es anderswie umbaut. Das macht Lust, es selber auszuprobieren, besonders wenn man täglich mit dem Velo kilometerweise zur Arbeit fährt. Da hat man nämlich gern einmal ein wenig Abwechslung. Besonders nahe liegend sind Anpassungen am Lenker. Die sind nicht aufwendig, aber sehr effektiv, denn auf dem Lenker starrt man ja meistens drauf, weil es als einziges wesentliches Teil des Velos ständig im Sichtfeld der fahrenden Person ist. Und man hat ihn wie erwähnt stets in den Händen. Auch ein Lenker hat, wie jedes Ding, zwei Seiten, nämlich oben und unten. Er lässt sich also auf den Kopf stellen. Und wenn man schon dabei ist, lohnt es sich, an den Griffen gleich auch was zu machen, und seien es nur die in der Mitte des Lenkers:


Damit ist tatsächlich schon viel erreicht: das Velo sieht anders aus, fährt sich anders (wenn man das denn möchte) und fühlt sich ein bisschen neu an. Ausserdem macht es Spass, am Fahrrad herumzuschrauben auf einem technischen Niveau, das man beherrscht. Wo dieses Niveau liegt, muss jede und jeder für sich selber herausfinden – viel Erfolg damit! Der Schwierigkeitsgrad für das Umdrehen eines Lenkers dürfte irgendwo in der Nähe von zwei auf einer Zehnerskala liegen. Warum zwei und nicht eins? Wegen der Lenkerklemmung, bei der man Fett braucht, einen Drehmomentschlüssel und besonders einen zuverlässigen Wert, auf den man diesen einstellen soll.
Von den drei Berührungspunkten zwischen Mensch und Maschine ist der Lenker vielleicht nicht der sensibelste (da dürfte der Sattel ein heisser Kandidat sein), aber sicherlich der unmittelbarste, ausser bei Nacktfahrern. Also bieten sich Veränderungen an den Griffen an, wenn es um ein wenig Abwechslung geht. Ledergriffe fühlen sich immer warm und geschmeidig an. Baumwollband eröffnet ein weites Feld von Gestaltungsmöglichkeiten mit Farben und sogar Mustern. Auch hier hilft Rivendell gerne. Wir haben das mehrfach ausprobiert – das klappt ist gar nicht schwer. Inspiration liefert die Instagram-Seite des Herstellers @newbaums. Deren Band gibt es in vielen hübschen Farben, und es lässt sich nicht nur am Lenker verwenden:
Ein kleiner Schritt weiter, und wir sind beim bar swapping (Rivendell-Sprech): den Lenker auswechseln statt nur drehen oder schwenken. Es gibt eine erstaunlich breite Palette von Lenkerformen. Jede erfüllt einen oder mehrere Zwecke, keine erfüllt sie alle, natürlich. Ausprobieren lohnt sich, kostet nicht viel und vermittelt, mehr noch als das oben beschriebene Umdrehen, ein allenfalls ganz anderes Handling des Fahrrades.
Neben der Freude am Schrauben hat das Umbauen eines Velos noch einen weiteren Vorteil: es spart Geld und Ressourcen. Während das erste nur für einen Teil der Menschheit ein Problem ist, sitzen wir beim zweiten ja alle im selben Boot. Wer sich Occasionsteile besorgt, um sich ein anderes Velo zu basteln, umgeht durch Ressourcenknappheit und populistisch motivierte Lockdowns entstandene Lieferengpässe elegant. You take the old an make it new, wie wir bereits im vorangegangenen Blogpost angeregt haben.
Weitere vielversprechende Möglichkeiten für das Tuning am Rad sind:
- Die Sattelposition (Neigung, horizontale Position, Höhe) verstellen oder den Sattel einmal ganz auswechseln – Achtung, hier braucht die Erfolgskontrolle Zeit und Geduld – und allenfalls Schmerztoleranz.
- Verschiedene Reifenbreiten und -profile ausprobieren. Wer sich das nicht leisten möchte, experimentiert einfach schon mal mit verschiedenen Werten für den Reifendruck auf unterschiedlichen Untergründen.
- Ein Front- oder Vorderradgepäckträger verändert das Fahrverhalten des Velos schon bei geringen Lasten wie dem Alltagsgepäck fürs Büro. Es liegt allein wegen der Konstruktionsweise eines Diamantrahmens schon genug Gewicht hinten, nicht zuletzt wegen des Menschen, der drauf sitzt. Nach vorne verlagern hilft, stabilisiert auf der Strasse das Vorderrad (zugegeben: solange man die Hände am Lenker behält…), stört aber auch auf unebenen Wegen nicht stark.
Spielereien? Für alle, die sich hundertprozentig wohl fühlen auf ihrem Velo sicherlich. Aber ein Velo ist ja schliesslich ein Spassmobil! Wer sich die Hände nicht schmutzig machen mag, kann auch ein Weihnachtsgeschenk gezielt platzieren und zuschauen, was damit geschieht.
Ein Gedanke zu “Auf den Kopf gestellt oder: Tuning am Fahrrad, Anfängerklasse”