Tag Eins

Am Tag Eins hat der Liebe Gott die Erde erschaffen, sagen die Leute. Zum Glück kenne ich mich dem Kreationismus leider überhaupt nicht aus. Dafür weiss ich aber ganz genau, was Tag Eins vorausging. Tag Null.

Vor erstaunlich langer Zeit habe ich berichtet, wie ich in der Garage meiner Jugendliebe über den Weg gelaufen war. Das eine folgte dem anderen, und schon stand ich inmitten einer Dreierbeziehung mit mehreren Velos. Eine gewisse Zeit trug mich die neue alte Liebe sogar nackt durch die Welt, weil sie mir damit gefallen wollte (hat sie auch). Zwischenzeitlich hat sie sich mit viel jugendlichem Übermut (und noch mehr finanziellem Aufwand) eine neue Pulverbeschichtung auftragen lassen, von oben bis unten pink métallisé. Aber nur kurze Zeit später, am Tag Null eben, während dem Velopflock-Betriebsausflug im Frühling 2018, kam der Anfang vom Ende. Ein Bruch. Hinten, am Ausfallende. Der Höllenritt über die wohl steilste und hoprigste Strasse im Jura war für mich ein Hochgenuss, aber für die alte Dame wars eindeutig zu viel. Eine Konsultation beim heimischen Stahlknochenspezialisten machte mir nicht viel Hoffnung, und auf dem Weg nach Hause (bezeichnenderweise in einem Friedhof) beschloss ich, Schluss zu machen. Aus, Ende, fertig. Die Alte hat mich schon zu viel gekostet. Wenn schon Geld, dann für eine neue!

Aber ich wollte es richtig machen mit der neuen, nicht einfach das schnelle Geschäft an der nächsten Strassenecke. Eine innige neue Beziehung sollte es werden. Von Anfang an sollte langsam zusamenwachsen, was zusammengehört, mit Geduld und viel Gefühl ein solides Fundament für die neue Beziehung entstehen. Die nüchterne Konsequenz von dem ganzen Emo-Gesülze: vorletzte Woche stand ich in den Katakomben der Rahmenbauwerkstatt Stolz, wo ich die Stahlknochen meiner neuen Tante ausgewählt und dann fein säuberlich in eine Schachtel gelegt habe.

Heute war dann eben Tag Eins. Nach einer kurzen Einführung ins Hartlöten und einer Lektion zur Rahmengeometrie habe ich das Skelett meiner neuen Tante im Massstab 1:1 auf ein grosses Papier gezeichnet. Dann habe ich die Knochen aus der Schachtel genommen und auf die Zeichnung gelegt. Ich habe sie markiert, gefräst, geschliffen, zusammengehalten, wieder auf die Zeichnung gelegt, wieder gefräst, die Zeichung korrigiert, Rohre gefräst, in die Muffen zusammengesteckt, wieder auseinandergenommen, in die Rahmenlehre eingespannt, wieder in die Fräse gespannt, und so weiter. Irgendwann war Abend, und Tag Eins am Ende.

Ich freue mich auf Tag Zwei.

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