Letzten Samstag habe ich meine Jugendliebe getroffen. In meiner Garage. Sie war schwarz und dreckig, die Luft war draussen, und sie stand ganz hinten in der Ecke. Ihre Knochen sind aus schwerem Stahl. Schuhgrösse 26″. Sie heisst Route 66 und stammt aus den Rocky Mountains. Und sie ist das Velo, mit dem ich erwachsen wurde.
Wir haben uns kennengelernt kurz nachdem ich von zu Hause ausgezogen war, da waren wir beide noch jung und knackig. Ich bin mit ihr durch die Strassen der neuen Stadt gezogen. Durch Frankreich getourt. Ich bin auf ihr durch den Norden Hollands und den Süden Spaniens geritten (manchmal sogar auf der Autobahn). Und über die Alpen. Und später kamen sogar zahlreiche Pendler-Ausritte in den Aargau dazu.
Im Laufe der Zeit machte ich meiner Dame hin und wieder kleinere oder grössere Geschenke: neue Räder, glänzende Ketten und Kassetten, ein frischer Sattel, oder ein neuer Lenker (nachdem ich zuschauen durfte, wie ein dicker Koffer aus dem Bauch des spanischen Flugzeugs auf meinen Schatz gefallen ist). Trotz aller Pflege kam es aber, wie es bei der Adoleszenz eben manchmal kommt: langsam aber sicher hatten andere Velobauer auch schöne Töchter, und irgendwann konnte ich einem der vielen hübschen Schönheiten aus Stahl nicht mehr widerstehen. Seither gammelte die arme Route 66 in der Ecke vor sich hin und verlor mehr und mehr Luft.
Da stehe ich also, in der Garage. Und trotz der jahrelangen Demütigung in der dreckigen Ecke schaut sie mich mit diesem undwiderstehlich romantischen Blick an. Ich hole sie aus der Ecke hervor, schliesse sie in die Arme, pumpe sie straff auf (kein Loch, nix!), und schraube das Bremskabel der Vorderradbremse wieder fest (ich hatte mal dringenden Bedarf für eine entsprechende Schraube am Velo meiner Ehefrau aus Fleisch und Blut). Und dann der grosse Moment: ich sitze auf und fahre los. Wow! Ich fahre im siebten Himmel und die Engel singen Lieder von längst vergangen Tagen auf dem löchrigen Sattel!
Am Morgen danach liess sich meine Sehnsucht auf einen Besuch in der Garage schon kurz nach dem Frühstück nicht mehr zügeln. Eine genaue Inspektion ergab, dass die alte Dame nicht nur dreckig ist, sondern auch ziemlich abgenutzte und steife Gelenke hat. So würde die neue Liebe keine Zukunft haben. Es blieb nur eins: ab in den Montageständer und alle Altlasten abschrauben, bis die alte Dame splitterfasernackt vor mir entblösst war.
Nur: auch nach dieser origastischen Schrauberei in meinen Erinnerungen an die guten Zeiten mit der Dame aus Stahl weiss ich noch nicht so genau, wie es mit uns beiden jetzt weitergeht. Nur eins habe ich beruhigt feststellen können: Alte Liebe rostet nicht!
Ich hab ja das ganz genau gleiche gemacht vor wenigen Monaten. Meine alte Liebe ist mir als erstes auf den Daumen gesprungen; das Loch im Nagel wächst nächstens raus. Und sie rostet weiter, jetzt einfach nackt und hinter dem Haus. Ausserdem war ich nicht imstande, das Tretlager so sauber zu entfernen, wie du das gemacht hast. Jedenfalls warte ich nun auf den Tag, an dem ich nichts mehr zu tun habe, ausser Teilebörsen im In- und Ausland abzuklappern nach Bremsen, Tretlagern und Wechseln, die auf einen Stahlrahmen Jahrgang ’87 passen. Ich feu mich schon drauf! Kommst du dann mit, falls du auch grad nichts anderes zu tun hast?
Teilebörse? Ja klar! Das Tretlager war übrigens wirklich eine harte Nuss. Da half nur noch eine Mischung von mehrfachen WD40-Applikationen, Heissluftfön auf Vollgas, und ganz viel Schraubstock… interessanterweise war das Tretlager selber total verrostet, der Rahmen allerdings überhaupt nicht.