Lance wears it!

Ist Ihnen schon aufgefallen, dass im Profi-Peloton seit letztem Frühling irgendetwas anders ist als in den Jahren zuvor? Klar, Teams kommen und gehen, andere ändern ihr Trikot geringfügig, damit die Tifosi ein neues Fanshirt kaufen. Das haben sie schlau von den Fussballern abgeguckt. Apropos Fussballer, deren Fans sei dieses Video empfohlen. Den Nicht-Fussballfans übrigens erst recht. (Wie der Mann der mir aus der Seele spricht.)

Nein, die Trikots sind nicht das, was ich meine, sondern die Helme. Sahen sie noch vor kurzem aus wie umgedrehte Salatsiebe, so haben sie heute fast keine Löcher mehr:

Helm

(Ich hab auch erst gedacht, das sei ein Zeitfahrhelm und die beiden Öffnungen da vorne seien zum Rausgucken. Ist aber nicht so, das ist ein gewöhnlicher Strassenradhelm, wenn auch für Eilige. Zeitfahrhelme sehen nämlich so aus, und rausgucken täte man hier nach links:)

Zeitfahrhelm

Jahrelang hat man uns in den Fahrradfachgeschäften gebetsmühlenartig erklärt, dass ein Helm viel kostet, weil er viele Öffnungen hat. Hat er wenige Öffnungen, kostet er auch weniger. Man hätte glauben können, einen Helm trage man in erster Linie zur Belüftung der Kopfhaut. Und nun: sind die Löcher einfach weg. Ich hatte noch nicht genug freie Zeit, um mir den Erklärungsversuch eines Händlers anhören zu gehen – das wird sicher lustig, ich kann Ihnen das nur empfehlen. Am Stand eines deutschen Helmherstellers an einer Velomesse erklärte man mir immerhin bereits, die Profis bräuchten halt weniger Löcher, weil sie so schnell unterwegs seien. Da reichen schon wenige Löcher, weil in denen der Düseneffekt so ausgeprägt sei, dass er sämtliche Transpiration im Nu entsorgt. Aha.

Düseneffekt
Der Düseneffekt (Bild: HME Reisemobilforum. Danke.)

Wenn wir schon beim Thema Ehrlichkeit und Konsumentenverarsche sind: Der blaugelbe Möbeldiscounter aus Schweden, der hier nicht namentlich genannt werden soll, denn was habe ich schon für ein Interesse daran, denen den Werbeetat zu entlasten? Der Möbelriese also, der ist da ganz anders. Ehrlich halt. Kein Mensch auf der Welt bildet sich ein, ein Ikea-Möbel könne er oder sie dereinst seinen oder ihren Kindern vermachen. Man ist im Gegenteil schon froh, wenn der Gebrauch eines solchen Möbels nicht eine Erbschaft verursacht, indem es seinen Besitzer unter sich begräbt oder so. Der hohe Bekanntheitsgrad dieser sehr beruhigenden Tatsache hat bestimmt mit der Kommunikation von Ikea zu tun, die vermitteln einem irgendwie und sehr subtil, dass das Zeug nicht ewig hält, weil es schliesslich nicht so viel kostet. Deal! Ja, da können sich die Hersteller von Fahrradausrüstung eine dicke Scheibe von abschneiden.

Es hat nämlich nichts mit Ehrlichkeit zu tun (hier ein kleiner Einschub, Entschuldigung, aber das gehört grad zu Ehrlichkeit: Billy Joel kommt nach Europa und spielt am 3. September 2016 in Frankfurt! Vielleicht ist ihm das Geld ausgegangen, aber es ist ja unwichtig, weshalb er kommt, Hauptsache, er kommt. Wer das verpasst, ist überhaupt selber schuld oder wohnt zu weit südlich von Frankfurt, so wie der Schreibende. Klammer zu.) Es hat es also nichts mit Ehrlichkeit zu tun, dass die Fahrradindustrie uns den ganzen Krempel verkauft, den sie im Jahr zuvor den Profis übergestülpt, untergeschoben, angeschraubt oder umgeschnallt hat. Das Hauptverkaufsargument ist dabei immer: von Profis erprobt! In keinem Radladen und keinem Rennradmagazin wird darauf hingewiesen, dass man kein Profimaterial braucht, weil man in keinerlei Hinsicht wie ein Profi fährt: nicht so oft, nicht so weit, nicht so schnell und nicht auf Rang. Dass jedem Feierabendsportler Spitzenmaterial (und im Bereich der Rennräder praktisch nur solches) verkauft wird, hat einen guten Grund: weil die UCI (Union Cycliste Internationale) sie dazu zwingt. Profis dürfen nämlich nur mit Velos herumfahren, die auf dem freien Markt erhältlich sind, Prototypen sind verboten. Und damit das Angebot nicht unüberschaubar oder preisgünstig wird, verkauft man ausschliesslich Rennräder, die eigentlich den Ansprüchen eines Profis einigermassen Genüge tun. Es ist schon fast rührend, mit welcher Offenheit diese Masche um das Jahr 2004 herum kommuniziert wurde:

Lance Wears It
Falls Ihre Augen nicht so fit sind: Es steht überall nur „Lance Wears It“ oder L.W.I., auch in den wissenschaftlich anmutenden Diagrammen im unteren Bereich. Ich hab das wirklich lustig gefunden, seinerzeit. (Die Ästhetik des Helms wurde nach meiner Meinung auch nie getoppt.)

Gäbe es diesen Knebelartikel in den UCI-Reglementen nicht: wie viel komfortabler wäre Rennradfahren! Die Konstrukteure würden aus dem Vollen schöpfen statt immer nur dasselbe, einfach etwas leichter, zu bauen. Stellen Sie sich vor, bei Ihrem Autohändler kriegten Sie statt sowas

Polo

nur lauter solche Sachen:

Formel1

Bei den Sporträdern ist das die Realität. Lassen Sie sich das mal in Ruhe durch den Kopf gehen.

Das braucht schon ein Weilchen, was? Inzwischen aber zurück zu Ikea, deren Name hier nicht genannt werden soll:Vor wenigen Wochen haben wir hier vom Ikea-Fahrrad berichtet und die Welt aufgefordert, Vorschläge für einen Namen zu machen. Die Eingabefrist ist seit inzwischen neunzehn Tagen abgelaufen. Leider kann die Wahl der Jury noch nicht bekannt gegeben werden, weil die juristischen Abklärungen etwas mehr Zeit beanspruchen als erwartet. So ein Name darf ja nicht bereits von jemand anderem beansprucht werden, das gäbe Ärger, und das wollen wir den Schweden nicht einbrocken. (Und den Juristen gönnen wir das Honorar nicht.) Es kann aber nicht mehr lange dauern, und in wenigen Tagen sollte das Resultat an dieser Stelle publiziert werden können. Meinetwegen reicht auch noch Bis dahin: Skål!

2 Gedanken zu “Lance wears it!

  1. Hmm. Wenn jetzt aber jemand im Peloton im Windschatten fährt? Nutzen ihm da da die großen Öffnungen? Ich könnte mir ein langsames Überhitzen vorstellen, wie es langsam unter der Haube zu brodeln beginnt und hin und wieder ein lautes Zischen dem Deckel entweicht…
    Ausserdem: Die großen Löcher machen nur Sonnenbrand auf der Stirn. Von vorne gebraten, von innen gekocht. Was sagt nur der autorisierte Helmfachhändler dazu?

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