Hurra: Ich bin kein Velofahrer!

Wussten Sie, dass alle Schotten geizig sind? Dass alle männlichen Italiener „Mammoni“ sind, die bis ca. in ihr vierunddreissigstes Lebensjahr bei Mamma wohnen? Dann ist es höchste Zeit, dass Sie es erfahren! Und wo wir schon dabei sind: Deutsche haben eine grosse Klappe, Franzosen ernähren sich überwiegend von Froschschenkeln und Schwedinnen sind allesamt blond und warten auf liebeshungrige Mitteleuropäer. Chinesen essen Kinder, Amerikaner können Schweden und die Schweiz weder auf einer Landkarte finden noch sonstwie auseinanderhalten, und Finnen sagen nie was.

Ich könnte hier beliebig weiter fahren, so circa bis Ostern, wenn ich zwischendurch schlafe. Ausländer (also alle, die keine Schweizer sind) sind kriminell, Frauen können nicht einparken, und Schwule haben schlaffe Handgelenke und hassen Fussball. Jede erdenkliche Bevölkerungsgruppe, ob gross oder klein, hat ihr Klischee. Nur Radfahrer nicht, und das ist ungerecht. Wobei, was haben ein Velopendler, ein Weltradreisender, eine Oma mit ihren Einkäufen auf dem Hollandrad, ein Kind auf einem BMX-Rad oder ein Dirtbiker denn schon gemeinsam? Die Etikette möchte ich ja sehen, die auf alle diese Dosen passt.

Trotzdem ein paar zaghafte Versuche: Sind wir alle verbissen und haben rote Köpfe, wenn wir Velo fahren? Kommt ja vor, aber fast nur unter den überambitionierten Hobbyrennfahrern über fuffzich. Wir nehmen auf Radreisen den Proviant von zu Hause mit und zelten, um Geld zu sparen? Ist längst widerlegt.Wir sind alles radikale Umweltschützer? Gucken Sie sich mal auf einem Parkplatz am Rande des Naherholungsgebietes einer beliebigen mitteleuropäischen Kleinstadt um, wo die Angestrengten ihre Carbon-Mountainbikes aus allen möglichen Autos laden (vorzugsweise Vans und SUVs), um ihre Feierabendrunde zu bolzen. Das Velo allein als Luxusgut oder Lifestyleaccessoire von Dinks, Golden Agers oder Hipsters zu sehen, ist auch grundfalsch, denn kracht mal wieder die Volkswirtschaft eines kleinen EU-Landes unter Getöse zusammen, kaufen sich die verarmenden Massen, die sich weder Benzin noch Busticket leisten können, mit ihrem letzten Geld ein Fahrrad. So passiert 2008 in Is- und Griechenland.

Trotzdem: keine Minderheit ohne Gemeinplatz, sonst fehlt ihr der ideologische Kitt, das Mittel zur Identifikation und Abgrenzung gegen alle anderen. Diesen Kitt zu suchen, brach ich eines Tages ins weltweite Netz auf, wurde dort aber auch nicht fündig. Frustriert steuerte ich zur Aufheiterung die Website des wunderschön gemachten und sicherlich kulturbeflissensten Radsportmagazins dieses Planeten an: Rouleur. (Wieso zum Henker sind beinahe alle interessanten Magazine, Websites und Podcasts zum Thema Fahrrad aus England, wo dort doch keiner Rad fährt?) Und bei Rouleur wurde ich fündig. Der englische Radsportjournalist Matt Seaton gibt uns immerhin einen Hinweis, wie Radfahrer so sind:

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Graus. Ausgerechnet Radprofis also sehen am ehesten wie „der“ Radfahrer aus! Viel mehr als wir gewöhnlichen Radfahrer. Zwar erreichen auch die Profis das Idealbild eines Radfahrers nach Matt Seaton nicht ganz, sie kommen ihm aber noch am nächsten.Wie aber stellt sich Seaton richtige Radfahrer denn nun vor? Vielleicht als sehr geselliges Herdentier?

MannschaftszeitfahrenAlso ich fahr mit denen nicht in den Urlaub. Oder sind Radfahrer zielstrebig und kompromisslos auf den Erfolg fokussiert?

Kompression

(Bild: berliner-kurier.de)

Nein danke, ich reise lieber leicht. Vielleicht so: taffe Kerls, hart im Nehmen?

Bike_Crash

(Bild: HaHaStop.com)

Wer sich nicht so auskennt mit Velos und deren Fahrern, könnte sich unter „echte Radfahrer“ auch folgendes vorstellen,  eine hochspezialisierte Subspezies von homo sapiens sapiens.

mtb5

(Bild: imba.com)

Schliesslich fand ich auf der Website einer schmuddligen Internetapotheke folgendes Bild zweier Bahnradfahrer. Das muss Seaton gemeint haben, denn an dieses hehre Ideal reichen selbst die allermeisten Strassenprofis nun wirklich noch nicht heran. Ja, there’s really something about pros, Matt.

PRUSZKOW, POLAND - NOVEMBER 05: Robert Forstemann of Germany stands on the podium after winning the Team Sprint during the European Elite Track Cycling Championships at the BGZ Arena on November 5, 2010 in Pruszkow, Poland. (Photo by Bryn Lennon/Getty Images)

(Bild: rennradnews.de)

Da ich mir nicht wie ein Zuchtbulle vorkomme, passe ich offenbar auch in diese Schublade nicht  rein. Aber vielleicht bin ich ganz einfach kein Radfahrer. Sollte es tatsächlich so sein, dass Radprofis mehr wie Radfahrer aussehen als gewöhnliche Radfahrer (klingt unlogisch, ich weiss, aber die Formulierung ist ja nicht von mir), dann möchte ich aber auch kein Radfahrer sein! Und, Gott im Himmel, nie war ich glücklicher darüber! Moment: Nichts gegen Radprofis, ich bewundere sie für ihre Leidensfähigkeit und beneide sie um ihre Mechaniker. Aber was bitteschön soll an ihnen mehr radfahrerhaft sein als an irgendjemandem, der auf einem Velo hockt?

Und während Matt Seaton weiter nach seinem idealen Radfahrer sucht (behelmt, angestrengt, in einer Wursthaut steckend, auf einem leichtgewichtigen Experimentiervehikel an Massen von wildfremden Leuten vorbeirauschend, irgendwie so), pedale ich mit meiner Frau zum Picknick am Fluss, rolle im Urlaub durch Schottland, an einem lauen Sommermorgen ins Büro (ab hier ohne Frau), mit Flow über meinen Lieblingstrail im Wald, durch den Regen nach dem Kino nach Hause und, ja, auch mal ziemlich angestrengt in Lycra über einen Alpenpass. We embrace all kinds of cycling hier! Und we’re for anyone who has appreciatied how much being on a bicycle can make your life better. Oder, anders gesagt, nämlich mit den Worten von Grant Petersen: Just Ride.

Chapeau!

 

Ein Gedanke zu “Hurra: Ich bin kein Velofahrer!

  1. Oh ja – Just Ride.
    Bei diesen Bilder sehe ich dann immer diesen Bahnfahr-Muni vor mir der in einem Video (glaube auf Spokemag.de) die Leistung hinbrettert und erkeucht um einen Toast zu backen … oder so. Grauslig …. .
    Ob Fatbike, Carbonflieger, hydrogeformtes Alu, Studigöppel, gemufftes Zahnstochervelo, ob schnell oder gemütlich, mit oder ohne Hirni, im Cyclistentenue oder Tweed-Anzug ist doch egal. Hauptsache vielfältig wie wir alle sind – so macht es doch Spass.

    Gruess

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