Wie man einen Sonntag auch verbringen kann.

Auch der zivilisierte, industrialisierte und digitalisierte Mensch ist ein armseliges Würstchen, wenn er brachialer Naturgewalt gegenübertritt: Erdbeben, Lawinen, Wirbelstürme oder Schicksal. Da kommt er sogar mit dem Velo nicht dagegen an.

An freien Tagen ist es noch viel wichtiger als an Werktagen, dass man sich einen Tagesplan ausdenkt, denn die meisten, und sicher die ehrlichen unter uns, werden zugeben, dass Freizeit wertvoller als Arbeitszeit. Einen Plan zu machen, wie man den Sonntag zubringt, klingt zwar bieder. Macht aber nichts, denn entscheidend ist die geistige Flexibilität, mit der man allfälligen aufgezwungenen Planänderungen begegnet. Da zeigt sich dann wahre Charakterstärke. Oder deren Abwesenheit.

Da kann es beispielsweise einer velobegeisterten Person durchaus zustossen, dass sie eines freundlichen Sonntagmorgens gut gelaunt und zuversichtlich aufsteht mit der Absicht, eine spätwinterliche Velotour zu unternehmen. Nach dem entsprechend üppigen Frühstück muss ein zweiter Kaffee sein, denn die Atmosphäre hat sich noch nicht ausreichend erwärmt. Kurz vor Mittag schlägt die Erkenntnis zu, dass eigentlich gerade noch genug Zeit bleibt, das Gravelbike vor seinem Einsatz von den schlammigen Spuren des Winters zu befreien. Die Katzenwäsche für Rahmen und Kette wird – es ist immer noch nicht sonderlich warm draussen – kurz vor Mittag zur grossen Zerlegung des Wechsels; bloss gut, fehlt das Fachwissen, die Kurbelgarnitur auseinanderzuschrauben, um endlich auch mal die Kettenblätter richtig reinigen zu können. Stattdessen wird der Rat des Herstellers befolgt, jedes, aber wirklich jedes Jahr einmal, noch besser aber zweimal, je nach Körpergewicht und Einsatzgebiet gerne auch ein drittes Mal, die Sattelstütze auszubauen, zu reinigen und ausgiebig zu fetten, damit kein Unglück geschehen möge. Ein wertvoller Ratschlag, wie die schmerzhafte Erfahrung der velogebeisterten Person gezeigt hat. Vor anderen sattelbezogenen Missgeschicken ist allerdings auch mit viel Fett niemand gefeit.

Die Sattelstütze, zurück an ihrem Platz, will mit dem korrekten Drehmoment festgedreht werden, und dafür wurde vor Kurzem eigens ein Drehmomentschlüssel geliefert. Der kann jede Schraube präzise mit dem gewünschten Drehmoment anziehen, sofern denn der gewünschte Wert bekannt ist. Allerdings scheint niemand auf der Welt die Verantwortung übernehmen zu wollen, einen solchen Wert für verschiedene Teile am Fahrrad zu veröffentlichen. Weder der Hersteller des Drehmomentschlüssels noch das Internet. Also muss der Median der im Internet auffindbaren Wertebereiche (irgendwo zwischen 4 und 21 Nm) als präziser Wert herhalten. Es dämmert die Frage, ob unter diesen Voraussetzungen der Einsatz eines Drehmomentschlüssels überhaupt sinnvoll ist und nicht besser nach Gefühl gearbeitet würde, wie in den vergangenen dreissig Jahren. Das ist aber nicht so wichtig, weil nun eine andere Frage in den Vordergrund tritt: Wieso nicht gleich alle Klemmen und Schrauben und Verbindungen an sämtlichen Fahrrädern mit dem Drehmomentschlüssel überprüfen? Das wäre doch nur konsequent!

Eine knappe Stunde später ruht der Drehmomentschlüssel wieder in seiner Schatulle. Alle Velos sind nun korrekt verschraubt. Die Arbeit geht aber keineswegs aus: Irgendwo taucht in irgendeiner Schachtel ein Stück Feder auf, das sich hervorragend eignet, um die Schraubverschlüsse am Brompton-Faltvelo zu optimieren. Das klappt nach bloss drei Versuchen und einem Wechsel der Feder (die nämlich einen kleineren Durchmesser hatte als die Schraube, die sie hätte federn sollen). Und wo es schon mal aufgefaltet ist, das Faltvelo: da war doch noch der clevere Bandmechanismus aus dem Internet, mit dem die Fronttasche leichter aus ihrer Halterung gelöst werden kann – das lässt sich doch bestimmt auch selber machen herstellen! Zwar ist die dazu notwendige Lochzange nicht mehr, was sie mal gewesen sein dürfte, aber Irgendwann ist das Band montiert:

Bewegt sieht das so aus.

Noch rasch wieder mal alle Räder im ganzen Stall pumpen, hinten und vorne, versteht sich. Die knarzende Platte bei den Mountainbikeschuhen abschrauben, schrauben und Gewinde reinigen, fetten, zusammensetzen, anpassen, nachstellen, testen. Knarzt noch immer. Nicht so schlimm. Beim Verstauen in den Schrank öffnet sich hinterhältigerweise der Werkzeug- und Teilekoffer und entlässt seinen Inhalt auf den staubigen Garagenboden. Zusmmenklauben, abwischen, einordnen. Erledigt, endlich.

Damit scheint die Zeit für die geplante Velotour gekommen. Doch der Schein trügt mal wieder: vor dem Velostall hat die Sonne inzwischen den Zenit ihres Tageslaufs überschritten, und es hat eine fiese Bise (aka steifer, kühler Nordwind) eingesetzt. An Velofahren ohne Daunenjacke und Beleuchtung ist jetzt nicht mehr zu denken. Wie unpraktisch.

Vielleicht noch einen Blogpost schreiben? Eine zündende Idee ist gerade nicht zur Hand. Läuft ein Frühjahrsklassiker im Fernsehen? Auch Fehlanzeige – Milano-Sanremo war wie immer am Samstag. Es ist offenbar zu akzeptieren: der Tag ist gelaufen. Zwar komplett anders als geplant, aber gelaufen. Das Schicksal hat alle Pläne wieder einmal zur Makulatur gemacht. Wie Joe Perry, Lead-Gitarrist von Aerosmith, einmal sagte: Wie bringst du Gott am einfachsten zum Lachen? Erzähl ihm deine Pläne.

Wenig später bei der Lektüre auf dem Klo folgt ein wenig Trost, und zwar in Form eines Artikels im Tagesanzeiger-Magazin, verfasst von einem leidenschaftlichen Velofahrer: sich verirren ist manchmal ein Glück. Ich werde beglückt daran denken, wenn ich das nächste Mal die Fronttasche an meinem Brompton-Rad aus der Halterung löse…

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