Die Erfindung hat schon ein paar Jahrzehnte auf dem Buckel. Das Funktionsprinzip aber und das der Konstruktion zu Grunde liegende Design ist dasselbe geblieben über die Jahrzehnte. Die verwendeten Materialien sind dem stetigen technischen Fortschritt gelegentlich angepasst worden. Eine Verbesserung hier, ein Zusatz dort, oft dem Zeitgeist geschuldet. Das Wesen der Maschine ist dabei fast unverändert geblieben, und zwar hauptsächlich, weil die recht bescheidenen Ansprüche der Benutzer an das Gerät sich nicht grundlegend verändert haben: Robustheit, Nützlichkeit, Schönheit. Auf Lateinisch: firmitas, utilitas, venustas. Eine Design- und Technik-Ikone, eben, die im Alltag ebenso selbstverständlich anzutreffen ist wie in Museen oder in Italien.
Unfehlbar ist aber auch einfache, verständliche und robuste Technik nicht. Und eine Fehlfunktion trifft ihren Benutzer umso unvorbereiteter. Wer nur einmal alle zwei Jahre Wartungs- oder Reparaturarbeiten erledigen muss, ist eben kein Routinier darin. Unbekannte Geräusche, Bewegungen, Gerüche, Verfärbungen oder gleich ein Total-Ausfall führen zu kapitalen Panikattacken. Wegen der eigentlich grossen Verlässlichkeit sind weder ein Ersatz noch Zeitreserve eingeplant, und so kann eine technische Lappalie den ganzen Tag durcheinander bringen. Und zwar nachhaltig! Der Zeitplan gerät irreparabel durcheinander, und die Nervosität steigt und bleibt für den Rest des Tages erhalten, Yoga hin oder Atmen her.
Genau so ist es mir kürzlich ergangen, an einem der letzten Büro-Arbeitstage vor dem zweiten Lockdown, der viele von uns zum Arbeiten von zu Hause aus zwingt. Ich schaute frühmorgens, verschlafen und hungrig, aber bereit zum Sprung in einen produktiven, fordernden Tag meiner Mokka zu, wie sie Kaffee herstellte. Mit Mokka meine ich so eine Aluminiumkanne, die aus einem Wassertank mit aufgeschraubtem Schankkrug besteht, dazwischen ein Kaffeepulverdepot, und üblicherweise auf den Namen Bialetti hört, so wie Inline-Rollschuhe für den oberflächlichen Betrachter eben Rollerblades heissen, und Einmachgläser Weckgläser.

So eine Mokka faucht ja praktischerweise, wenn der Kaffee bereit ist. An dem Morgen aber fauchte meine nicht. Sie zischte, weil Dampf aus dem Überdruckventil des Wassertanks strömte, und nach einer Weile piepste auch noch der Induktionsherd, weil er die Kanne nicht mehr finden konnte. Also schaltete er sich aus, wodurch zwar das Zischen aufhörte, es aber auch nie zum Fauchen kam. Die Kaffeeproduktion war gescheitert, obwohl das System der Kanne doch so simpel ist. Ich werde ziemlich sicher nie herausfinden, was der Grund war, zumal die Mokka am nächsten Tag ihren Dienst wieder tadellos versah. Weder hatte ich das Kaffeepulver verdichtet oder zu fein gemahlen oder zu grob, noch zu viel Wasser eingefüllt oder zu wenig; der Herd heizte auf Stufe sechs, wie immer. Eine andere Fehlerquelle ist nicht in Sicht. Mit der Ruhe war es vorbei, und das lag nicht am Koffeindefizit, sondern an der tief sitzenden Verunsicherung: Es gibt keine Gewissheiten mehr in meiner Welt. Und das einzige Mittel gegen so einen Gemütszustand war auch nicht verfügbar: mein Fahrrad. Es lagen an dem Morgen nämlich sechzig Zentimeter Neuschnee vor der Tür. Die Urkatastrophe war Tatsache.
Eine Erkenntnis aber bescherte mir jener rabenschwarze Tag: mir wurde klar, weshalb Kaffetrinken und Velo-, besonders Rennvelofahren, seit einigen Jahren ein Paar sind, wenn man den Hochglanz-Fahrradmagazinen und der Fahrrad- und Kaffee-Werbung glauben will. Im Zielraum von Mountainbikerennen stehen High-End-Kolbenmaschinen herum, die Fahrradszene einer Stadt trifft sich nicht in einer Bierhalle oder einem Pub, sondern in einem Café. Unter diesen gibt es heutzutage sogar Szene-Stars, und die bekannteren unter ihnen verkaufen bereits ihre eigene Lycra-Kollektion und verfügen über eine eigene integrierte Werkstatt.
Trends, Hypes oder der blosse Verdacht darauf lösen bei mir meist eine Abwehrhaltung aus. Das kann ich gar nicht beeinflussen. Ich verschliesse mich dem gehypeten Produkt oder Menschen oder Musikstil oder Buch dann jeweils vollständig, obwohl ich weiss, dass ich deshalb vielleicht das eine oder andere wunderbare Erlebnis verpasse. (Beispiele kommen mir zwar gerade keine in den Sinn.) Nennen Sie mich meinetwegen reaktionär, vernagelt oder einen Biedermann, ich kann’s ja auch nicht ändern (doch, könnte ich, aber das wäre nicht gut für mich). Aber das ist der Grund, weshalb ich mich höchstens im ländlichen Italien in der Lycra-Uniform in ein Café setze, um einen Espresso zu trinken. Dort werden sowohl das Rennvelofahren als auch die Kaffeeproduktion in vollendeter Manier zelebriert. Ausserdem kennt mich dort keiner.
Ich stehe mir da also gerne selber vor der Sonne. Manchmal kann der Mensch eben nicht aus seiner (Wurst-)Haut. Inzwischen weiss ich mir aber zu helfen. Gelegentlich lasse ich es zu, hinter der Mauer meiner Vorurteile gegen Trends etwas Interessantes zu erkennen. Bestätigt sich dieser Verdacht, muss mein Verstand die Vorurteile austricksen, damit ich den Gegenstand des Trends annehmen und nutzen kann. Er muss sie also überzeugen, dass rationale Gründe und tatsächliche Vorteile dahinter stecken. Kurz: ich brauche eine Ausrede vor mir selber. Dann klappt das manchmal. Sonst hätte ich kein Smartphone (hier half: „Ist ja keins von Apple!“), keinen Induktionsherd („Ist einfacher gegen Kinderhände zu sichern!“), keine digitale Spiegelreflexkamera („Film ist ja fast nicht mehr zu kriegen!“) und liefe immer noch in alten Klamotten herum („Der violett-türkis gestreifte ärmellose Pullover ist in der Wäsche eingelaufen!“).
Also: Velo und Kaffee passen tatsächlich gut zusammen, weil beides mit einfachen und formschönen Maschinen zu tun hat, die einen manchmal vor ungeahnte technische Probleme stellen. Und das hat nichts mit Lifestyle oder Marketing oder Mode zu tun: Die Gemeinsamkeiten hören hier nämlich noch nicht auf! Beide gehören zu den Genussmitteln mit Suchtpotenzial. Gleichzeitig sind sie enorm praktisch im Alltag: das eine bringt mich schneller in den Tag, das andere schneller zur Arbeit, und beide helfen mir, wenn ich müde oder verzweifelt oder beides zusammen bin. Auf der technischen Ebene stehen beide vor ähnlichen Bedrohungen: Bloss weil es technisch machbar ist, werden sie mit Motoren aufgemotzt und verlieren so einen grossen Teil ihres Charakters. Eine Handhebel-Espressomaschine macht seit 50 Jahren den besseren Kaffee als die George-Clooney-Roboter aus Vevey! Ein E-Bike bringt mich letztendlich von A nach B wie ein mechanisches Fahrrad, macht einfach Lärm und CO2 und kostet viel mehr. Und beide drohen, von nützlichen, robusten und schönen Alltagsgegenständen zum Wegwerf-Lifestyle-Artikel zu degenerieren.
Nun habe ich also meine Ausrede, und sollte ich es jemals wieder bis nach London schaffen, werde ich mir ganz entspannt und ohne Konflikt mit meinen Überzeugungen im Look Mum, No Hands! einen Ristretto genehmigen können, derweil mein Rad dort eine Nackenmassage bekommt. Nur schon der wunderbare Name wäre Grund genug für diese Reise. Vielleicht kaufe ich mir sogar noch ein Käppi als Souvenir – obwohl, die sind schon ziemlich unter Trendverdacht. Geht also gar nicht.
