Ausblick aus dem Sattel

Die Strassen- und meteorologischen Verhältnisse lassen es inzwischen auch in dem Teil des Landes, in dem ich wohne, wieder zu, mit dem Velo längere Distanzen zur Arbeit zu fahren. Und zwar ohne zu erfrieren, sich hinzulegen unter seinem Gaul oder sich zum Affen zu machen, indem man dick wattiert, aber mächtig schwitzend übers Eis eiert. Und in diesem Augenblick hat auch die Fliegenklatsch-Saison gestartet. Und weil wieder mehr Rad gefahren wird, wird wieder weniger geschrieben, wie anfangs Winter statistisch belegt. Dies nur zur Erklärung, weshalb seit dem letzten Eintrag hier empörende sechzehn Tage vergangen sind. Und kein einziger fordernder Kommentar in der Zeit! Eure Geduld möchte ich haben.

Auf dem Fahrrad kommen einem oft die besten Einfälle. Diese profund-profane Weisheit könnte zwar von mir stammen, tut sie aber nicht. Obwohl ich sie auch schon geäussert habe, aber nicht schriftlich, und mündlich zählt herzlich wenig, wenn es um geistiges Eigentum geht. Nein, dieser schöne Gedanke stammt aus dem ebenso schönen Jugendbuch „Apfelkuchen und Baklava“ von Kathrin Rohmann (Boje Verlag, ISBN-Nummer 978-3-414-82455-4). Dieses Buch kriegen meine Kinder gerade als Gutenachtgeschichte vorgelesen. Darin steht noch mehr Erstaunliches, zum Beispiel von einem elfjährigen Jungen aus der Siebten, der vier Fahrräder im Schuppen stehen hat – und ein fünftes davor –  und einer Mitschülerin, die vor dem Bürgerkrieg aus Syrien geflüchtet ist, einfach so eines davon schenkt. Deren Augen fangen zum ersten Mal seit ihrer Ankunft in Deutschland an zu Leuchten. Ein rechter Herzwärmer also, und ich muss seine Lektüre allen Leuten empfehlen. Was hiermit auch schon erledigt ist. Nur noch schnell den Deckel reingeklatscht:

baklava

(Das Buch hat eins der Kinder selbst aus der Bibliothek geholt, also macht mal den Velo-Nerd-Alarm wieder aus, ja?)

Auf dem Fahrrad kommen aber nicht nur interessante Ideen, sondern auch erstaunliche Eindrücke oder bleibende Beobachtungen. Bei mir waren das heute die folgenden:

  • Die LED-Technik ist nicht nur ein Segen. Federleichte Leuchtmittel von heute lassen die Stadionbeleuchtung des Bernabeu der frühen Achtziger aussehen wie ein Totenlicht. Und so sieht man an Spätwinterabenden Stirnlampen von eifrigen Sportlern hoch oben im Wald herumirrlichtern. Die neue Technologie bringt Bewegung an Orte, wo es früher nur still und dunkel war. Fatbikes im Schnee helfen mit. Dabei hatte der Kampf gegen Lichtverschmutzung doch gerade eben erste Erfolge errungen.
  • Heute haben mich die/der siebte und die/der achte E-Bike-Fahrer/in in diesem Jahr überholt, ohne zu grüssen (null haben gegrüsst in derselben Zeit). Dabei war die Geschwindigkeitsdifferenz vielleicht zehn Stundenkilometer, so schnell bewegt sich ein Jogger beim Auslaufen, also langsam genug für einen kurzen Gruss, und wir waren auf einer verkehrsfreien Strasse. Aber das sei hier bloss als Tatsache erwähnt und nicht gewertet. Ich habe ja schliesslich nichts gegen E-Bike-Fahrende, nicht wahr? (Mögt ihr „eBike“ auch lieber als „E-Bike“? Ich schon, und bin ich deswegen ein Opfer der Werbemaschinerie von Apple?)
  • Kommen sie von vorne auf einen zu, grüssen eBike-Fahrende sehr wohl.
  • LED-Lichter reihen sich ein in eine lange Reihe (unter uns: wo sonst sollen sie sich einreihen, wenn nicht in eine Reihe?) von an sich wunderbaren Erfindungen oder Entdeckungen, die den Menschen krass überfordern. Kernspaltung, Smartphone, Demokratie, Verbrennungsmotor, Internet, LSD, LED. Wer in der Dämmerung oder nachts auf einem Fahrrad einem Fahrrad mit LED-Lichtanlage begegnet, tut in der Regel gut daran, anzuhalten und die Augen ganz fest zuzupressen. Dann lassen sich gravierende Netzhautschäden mit etwas Glück vermeiden. Die meisten LED-Kanonen sind nämlich so schlecht eingestellt, dass sie nicht den Boden vor sich, sondern den grossen Rest der Schöpfung beleuchten. Was wieder einmal bestätigt, dass Fahrradfahren Einstellungssache ist, und zwar auf mentaler wie auf mechanischer Ebene.

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