We embrace all kinds of cycling II

Wir hier bei velopflock embrace all kinds of cycling, wie bereits erwähnt. Genauer gesagt, wir versuchen es mindestens. So ist das Rennvelo beispielsweise eines der am häufigsten genutzten Zweiräder in meinem Stall, wohl ich am liebsten mit meinem Tourenrad unterwegs bin (und es mit mir, wage ich zu behaupten), und Passfahrten mit dem Rennrad gehören zu meinen Lieblingsbeschäftigungen. Genauso wie Radrennen gucken am Fernsehen. Mein eigener Ausflug in den Rennsport hingegen datiert aus den frühen Achtzigerjahren und war von äusserst kurzer Dauer. Die Erinnerung daran ist aber noch sehr lebhaft. Leider.

Ich war dreizehn Jahre jung, und meine Rennerfahrung beschränkte sich auf Einzelzeitfahren gegen meine Schulfreunde auf den Trottoirs in unserem Quartier. Ich lebte damals in der Überzeugung dass ich eigentlich Eigentümer eines Rennrades war. Ich hatte einzig aus Gründen der Alltagstauglichkeit keinen Rennlenker montiert, und meine Mutter war dagegen, dass ich Beleuchtung, Schutzbleche und Gepäckträger im Keller zurückliess. Sonst aber wäre es ein Rennvelo gewesen, breite Reifen hin oder her. Nachdem mein grosser Bruder aber mit seinem astreinen Rennvelo vorgespurt hatte, bekam ich irgendwann tatsächlich mein eigenes. Es war ein königsblaues Cilo-Zehngangrad mit verchromter Gabel und Colléreifen, eine rassenreine Rennmaschine (nicht dieses hier). Ich war stolzer als die Berge, die meine Heimatstadt umgeben und die ich bald mit meiner Rennmaschine erklimmen wollte. Ein gleichaltriger Junge, Mitglied des lokalen Veloclubs (überdies ein Holländer! Sozusagen ein geborener Talentscout, dachte ich bei mir), lud mich freundlicherweise ein, zum Schnuppern an einem Rennen mitzufahren. Ich sagte begeistert zu, ohne mir weiter etwas dazu zu überlegen. Doch, etwas überlegte ich mir: endlich bot sich mir die Chance hierzu:

Beat Breu auf der Alpe d'Huez, Tour de France 1982, 14. Etappe. (Foto: Keystone)
Beat Breu auf der Alpe d’Huez, Tour de France 1982, 17. Etappe. (Foto: Keystone)

Es handelte sich um eine Art Kriterium für lizenzierte Nachwuchsfahrer, das an jedem ersten Dienstagabend des Monats zwischen Frühling und Herbst ausgetragen wurde. Die Rennstrecke durch ein Industriegebiet bot zahlreiche enge und scharfe Kurven, einen Bahnübergang sowie eine längere Gerade einem Bahndamm entlang. Noch heute, wenn ich auf dieser Bahnlinie unterwegs bin, packt mich an der Stelle das kalte Grauen.

An einem kühlen Dienstagabend im Mai, der Himmel grau und regenschwanger, war es soweit. Kühle Niederschläge kondensierten auch an meiner Stirn: Angstschweiss. Was hatte mich nur geritten, hier mitmachen zu wollen? Die meisten Teilnehmer trugen Radtrikots mit dem Logo eines der wenigen Radsportvereine des Tals, bis auf eine Handvoll Versprengte, darunter ich. Als ich mein Fahrrad in Richtung des LKW-Anhängers schob, auf dem sich die Zeitmessung befand, war ich wild entschlossen, nie wieder ein Rennen zu fahren, falls ich dieses hier überleben würde. Was mir so einen Heidenrespekt eingeflösste, kann ich heute nicht mehr sagen. Alle Leute waren nett zu mir, oder mindestens beachteten sie mich nicht, was mir mehr als recht war, denn ich war zu beschäftigt damit, mein vorgezogenes Abendbrot bei mir zu behalten.

Ganz meines Status bewusst, reihte ich mich zuhinterst ein, zurrte den ersten Schuh mit dem Pedalriemen fest, und der Startschuss erfolgte. Ich rollte los, nestelte am zweiten Pedalriemen herum, und als ich wieder hoch blickte, waren meine „Konkurrenten“ bereits grösstenteils hinter der ersten Biegung verschwunden, und ich sollte die meisten von ihnen nicht mehr wiedersehen bis ins Ziel. Damit ist vorweg genommen, dass ich immerhin nicht überrundet wurde. Wieso nicht, kann ich mir bis heute nicht erklären. Vom ersten Moment an strampelte ich in der für mich ungewohnt hohen Kadenz, so gut ich konnte, Seitenstechen erfasste mich unverzüglich, und ich verbremste jede Kurve vor Aufregung. Zu zwei weiteren Anfängern konnte ich immerhin noch vor der ersten Zielpassage aufschliessen. Ich strampelte mir die Lunge aus dem Leib, meine Oberschenkelmuskeln brannten trotz ihrer bescheidenen Grösse lichterloh, und meine Zunge geriet gelegentlich in meine Hände, mit denen ich mich verzweifelt am Lenker festklammerte. Das Rennen zu überleben schien mir schon fast zu viel verlangt von meinem Schicksal. Aufgeben war aber nicht drin, weil mich doch zwei, drei Fahrer kannten. Sie gingen ins selbe Schulhaus wie ich und würden mich am nächsten Tag auf dem Schulhof mit Genuss grillen. Jungen sind so in den Alter.

Irgendwann dämmerte es mir, dass ich die Anzahl der zu fahrenden Runden nicht kannte. Zwar hatte ich vor dem Start jemanden danach gefragt, seine Antwort hatte ich in meiner Nervosität aber bereits nicht mehr registriert. Nun ja, ich würde ja sicher die bereits geduscht am Ziel herumstehenden Fahrer bemerken und könnte mich dann nach meiner eigenen Zieldurchfahrt unauffällig zwischen zwei Lagerhallen davonstehlen. Diesen Plan vereitelte aber der Fiesling, der mich hierher eingeladen hatte. Er hatte mir im Ziel aufgelauert und fragte mich nun scheinheilig, wie es mir denn gefallen habe. Gott stand  mir bei und liess einen der Begleiter auftauchen, der uns aufforderte, unsere Räder zum Parkplatz  zum Einladen zu bringen. Ich wäre nicht imstande gewesen, zu antworten, denn meine Lungenflügel lagen säuberlich zusammengefaltet in meiner schmalen Brust. Meine Demütigung vollkommen machte die Tatsache, dass an jenem finsteren Abend ein anderer Anfänger, der wie ich als Gast mitgefahren war, das Rennen gewann.

Rennen und ich – das sollte nicht sein, beschloss ich an jenem Abend. Als ob das noch nötig gewesen wäre, bekräftigte mich mein vermeintlicher Förderer zwei Tage später in meinem Entschluss. Er wollte mir mein Klubtrikot übergeben, in der Meinung, mein erstes Rennen hätte mich zum Beitritt überzeugt. Das Trikot war aus dicker Wolle, das Logo aufgestickt. So hatte ich mir das nicht vorgestellt, wusste ich doch schon um die Existenz von Kunstfasern. Was hätte das denn für ein Bild abgegeben, wenn ich, die Arme hochgerissen, in einem Wolltrikot über die Ziellinie gerollt wäre? Wir waren schliesslich in der Ära von Bernard Hinault und nicht mehr von Jacques Anquetil! Ich murmelte also irgendeine Entschuldigung und schlich mich weg, um auf bessere Zeiten zu warten. Diese kamen einige Jahre später in Form günstiger Polyester-Imitaten von Pro-Team-Trikots und Jedermannrennen, an denen ich mich gut im hinteren Teil des Feldes verstecken konnte. Da ging es gemütlich zu und her, und am Ende kriegte jeder im Ziel einen Blechteller zum Andenken. Rennen und ich, das konnte vielleicht doch irgendwie funktionieren. Und dermassen grossartig sah Beat Breu auf dem Bild ja nun auch wieder nicht aus.

 

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