Vor zwei Jahren erschien erstmals die Rangliste der 50 besten deutschsprachigen Fahrradblogs. In einem deutschsprachigen Fahrradblog. Zu unserer zugegebenermassen freudigen Verblüffung rangierte auch Velopflock unter den Top Fifty. Wir bedankten uns umgehend artig in der Kommentarspalte des besagten Blogs und tönten schüchtern, wie wir Schweizer das nun mal sind, und vielleicht auch sprachlich etwas hölzern, weil ja Deutsch nicht direkt unsere Muttersprache ist, tönten also an, wir würden uns freuen, nun auch auf der Blogroll des Jurors zu erscheinen. Das wäre dann der Ritterschlag gewesen. Stattdessen wurde uns beschieden, ein Link zu Velopflock wäre „…redaktionell nicht zu verorten“. Wir interpretierten das so, dass unser Blog (Platz 33 oder so auf der Rangliste) zuwenig mit Fahrrädern zu tun hat, um von der Mutter aller deutschsprachigen Fahrradblogs verlinkt zu werden. Nun denn, damit können wir leben, ebenso wie wir mit der Tatsache leben können, dass kein Schwein weiss, was die Kriterien für diese Rangliste waren. Oder mit der Tatsache, dass es besagter Fahrradblog in der diesjährigen Ausgabe seiner Rangliste selbst auf Platz zehn geschafft hat. Da sagen wir Chapeau! ob soviel Bescheidenheit.
Um nun aber zur Hauptsache zu kommen: Wir haben etwas weniger Berührungsängste mit fahrradferneren Themen in unserem Blog und schreiben deshalb ganz unverblümt und frisch von der Leber über das härteste Radrennen der Welt, La Grande Boucle, Le Tour de France oder schlichtement Le Tour, oui? Ob wir das nun auf einem Fahrradblog redaktionell verorten (was heisst das eigentlich genau?) können oder nicht, mon dieu, darüber haben wir nicht nachgedacht, vermuten aber dass wir es könnten, wenn wir wollten, denn in unserem Titelbanner steht was von Velo und das heisst auf Hochdeutsch Fahrrad. Item (das ist nun ein schweizerischer Ausdruck und heisst im engeren Kontext eigentlich gar nichts, ausser, dass nun der Faden der Geschichte wieder aufgenommen werden soll): Eine Blitzumfrage auf der Velopflock-Zentralredaktion ergab, dass ziemlich genau die Hälfte aller Anwesenden hell begeistert sind davon, dass Le Tour heute wieder losgegangen ist. Ein Sommer ohne Le Tour ist nämlich wie ein Winter ohne Schnee, eine Verlosung ohne Hauptpreis oder eine Fussball-WM ohne italienischen Muttersöhnchen-Minimalisten-Fussball. Oder so. Das hier ist kein Rennradblog, sondern eine Internetseite über alle Aspekte des muskelbetriebenen Zweirads (aber nicht, dass wir uns anmassen, auch nur ein Zehntel all dieser Aspekte jemals ansprechen zu können!). Darum muss auch ein bisschen Radrennsport sein. Besonders, wenn es sich um Le Tour handelt.
Mehrere Redaktionsmitglieder sind seit Kindesbeinen mit den TV-Übertragungen aus L’Alpe d’Huez, vom Tourmalet oder aus Gap vertraut. Eines davon bin ich. Meine erste Leidenschaft in Zusammenhang mit dem Velo war schliesslich, Rennen zu fahren, wenn auch nur auf den Gehsteigen, pardon, Trottoirs des Quartiers und mit ordinären Dreigängern. Seither habe ich alle Austragungen von Le Tour verfolgt, menschliche Dramen und übermenschliche Anstrengungen miterlebt (meine Schwester strengte sich enorm an, um die Fernbedienung des TV-Geräts aus meinen Händen zu ringen, damit sie ihre Pferdesendung gucken konnte, welche während der Live-Übertragung einer Tour-Etappe auf einem anderen Kanal lief; sie, sechs Jahre älter, gewann aufgrund ihrer physischen Überlegenheit, was für mich ein Drama war). Vor allem lernte ich dank der Übertragungen auch die französische Landschaft kennen und schätzen. Ausgedehnte Kameraschwenks aus dem Helikopter zeigen jeweils goldene Getreidefelder, endlose Alleen, imposante Kathedralen oder schwindelerregend gewundene Passstrassen. (Auf einer sechsstündigen Flachetappe ist ja auch nicht ständig was los, oder die Protagonisten pinkeln im Treten oder reihenweise am Strassenrand stehend; da muss sich die Regie auch mal mit etwas Fremdenverkehrswerbung behelfen, n’est-ce pas?)
Diese Landschaftsbilder sind der Fairness halber bien sûr jenen Kennern vorbehalten, welche sich die Live-Ausstrahlung antun und nicht nur die Zusammenfassung nach der Tagesschau. Wobei dieses abendliche Résumé inzwischen leider immer öfter weggelassen wird. Der Profiradsport ist in den seriösen Medien nämlich in Verruf geraten, natürlich wegen des grassierenden Dopings. Bei aller Liebe zum und Respekt vor dem Gesetz: Mir ist es eigentlich Wurscht, was die Radarbeiter so alles zu sich nehmen vor dem Rennen. Viele Etappen, besonders die Bergetappen, sind so dermassen spannend, dass es mich nicht so kümmert, ob da nun alles im Rahmen der Vorschriften abläuft. Hauptsache, ich bin gut unterhalten. Wer hat denn jemals aus Baywatch weggezappt, bloss weil die Lebensretterinnen keinen Naturbusen vor sich hertrugen? Thomas Gottschalk war wirklich vor jeder Sendung in der Maske?! Und die Wrestler springen einander gar nicht echt aufs Gesicht, sondern knapp daneben?
Sowas aber auch.
Und als Vorbilder für die Jugend taugen die Radprofis mit ihrer eigenartigen Berufkleidung, dem bizarr kleinen Umfangverhältnis von Bizeps zu Oberschenkel und den in Nahaufnahme gut sichtbaren Sabberfäden sowieso nicht. Genauso wenig übrigens wie irgendwelche anderen Spitzensportler.
Deshalb haben wir hier bei Velopflock keine Hemmungen, folgenden Ratschlag abzugeben: Während der Tour in die französische Provinz fahren, sich in ein Bistro mit TV setzen und zusammen mit den Einheimischen Le Tour gucken. Oder sonst mindestens zu Hause bei einem Glas eisgekühltem Pastis und etwas Baguette mit Jambon. Sich vorher ein wenig mit der Geschichte, insbesondere der Sozialgeschichte der Tour vertraut gemacht zu haben (zum Beispiel mit ausgewählten Episoden von The Bike Show), steigert das Vergnügen enorm. Mehr Sommer geht nicht! (Und im Büro heimlich den Liveticker zu verfolgen geht wegen der fehlenden Landschaftsbilder gar nicht.) Morgens eine Ausfahrt auf dem Velo, ein leichtes Mittagessen. Dann die Etappe geniessen, am besten zusammen mit anderen Connaisseurs oder Connaisseusen, und danach noch zur Abkühlung ins Freibad oder in einen Fluss. Das ist der perfekte Sommertag für einen Fahrradliebhaber. Vorausgesetzt natürlich, er muss keinem Broterwerb nachgehen. Über diesen Fall breiten wir aus schmerzvoller Erfahrung den Mantel der Verdrängung.
Und noch ein zweiter Tipp: Wer Vorurteile gegen das Rennradfahren als solches hat, dem sei dieses Video hier ans Herz gelegt. Und dies nicht, weil es zufällig von der Organisation der Tour de France gemacht wurde, sondern, weil es zeigt, wie schön Rennradfahren sein kann – ganz ohne Rennen, versteht sich.
Und noch ganz zum Schluss: Bitte entschuldigt, dass wir hier ein Thema besprochen haben, das so ganz und gar nichts mit Velos zu tun hat. Wir geloben keine Besserung. Da dürft ihr uns gerne auf die Finger gucken.
Der Velopflock-Firmenausflug 2015 geht nach Yorkshire!