Gestandene Bundeshaus-Journalisten rieben sich die Augen, waren sprachlos. Weitgehend unbeachtet von den Medien hat die Schweizer Verkehrsministerin Doris Leuthard gestern in einem kleinen Konferenzraum des Bundeshauses ein Projekt vorgestellt, das es in sich hat: Um die Misere auf Auto- und in S-Bahnen zu Stosszeiten spürbar zu lindern, will die Schweiz als erstes Land südlich der Niederlande durch zahlreiche gezielte und aufeinander abgestimmte Massnahmen voll auf die Karte Velo setzen und gemäss Projektvorgaben nicht weniger als 40 Prozent der Arbeitspendler aufs nicht oder nur schwach elektrisch motorisierte Zweirad bringen – oder zwingen, wenn es denn sein muss. Innerhalb der nächsten zwölf Jahre sollen zu diesem Zweck 2.5 Milliarden Franken investiert werden.
Die Eckpfeiler dieses ehrgeizigen Projekts mit Namen „Spartacus“ – eine Verneigung vor dem in den letzten Jahren erfolgreichsten Schweizer Radsportler Fabian Cancellara – sind:
- Massiver Ausbau des Radwegenetzes in den Städten und ihren Agglomerationen durch Aufhebung von Parkplätzen und Fahrstreifen. Der motorisierte Individualverkehr (MIV) soll mit wenigen Ausnahmen nur noch im Einbahnverkehr durch die Siedlungsräume geführt werden, dadurch wird ein Fahrstreifen für den Veloverkehr frei. Die Entflechtung von MIV und Langsamverkehr geschiehht durch hochtechnisierte Lichtsignalanlagen mit starker Priorität für den Langsamverkehr. Einzelne Autobahnabschnitte werden – nach dem Vorbild der britischen Cycle Super Highways – in schnelle und komfortable Radwege mit erhöhter Kapazität zwischen den Zentren umgewandelt.
- Für den fahrenden und den stehenden Verkehr werden äusserst strikte Gesetze und Auflagen eingeführt. So wird die Anzahl vorgeschriebener Autoparkplätze bei Neubauprojekten beispielsweise stark reduziert, stattdessen sind Veloabstellanlagen mit Werkstätten und eine schnelle und komfortable Anbindung ans Velowegnetz für jede Liegenschaft vorgeschrieben.
- Autofreie Wohnsiedlungen werden neu nicht nur gefördert, sondern in Form eines vorgeschriebenen Anteils am Neubauvolumen gesetzlich verankert.
- Analog zum Bundesamt für Strassen ASTRA wird ein Bundesamt für den Langsam- und Zweiradverkehr BALZ geschaffen; es soll als Kompetenzzentrum innert weniger Jahren „ein Leuchtturm der menschen- und umweltfreundlichen Mobilität in Mitteleuropa“ werden, so Leuthard vor den wenigen, überwältigten Medienvertretern.
- Weil Gesetze und Verordnungen nur bedingt zu Verhaltensänderungen beim Individuum führen, soll die Vorbildfunktion genutzt werden, welche bei der Sozialisierung des Menschen in jeder Lebensphase die Hauptrolle spielt. Zu diesem Zweck werden dänische und niederländische Staatsangehörige zu stark erleichterten Bedingungen in der Schweiz Wohnsitz nehmen können, vorausgesetzt, sie benutzen hier kein Auto, sondern täglich gut sichtbar das Velo und verpflichten sich, während mindestens fünf Tagen im Jahr als Instruktoren ihre neuen MitbürgerInnen in den alltäglichen Gebrauch des Fahrrads einzuführen. Das Bundesamt für Migration hat bereits geprüft und sicher gestellt, dass diese Massnahme mit der Umsetzung der am 9. Februar angenommenen Masseneinwanderungsinitiative vereinbar ist.
- Die Hälfte der in der Schweiz ansässigen Rüstungsbetriebe wird zu Forschungs- und Entwicklungszentren sowie Produktionsstätten im Bereich der Human Powered Mobility (HPM) und der Radwegsignalisation umstrukturiert; so kann die erforderliche Steigerung der Anzahl effektiv genutzten Fahrräder in der Schweiz durch lokale Produktion bewältigt werden.
Die weitere Planung und teilweise sofortige Umsetzung von „Spartacus“ wird, um die Abläufe zu vereinfachen und zu beschleunigen, von einer interkantonalen und transdisziplinär zusammengesetzten Steuerungsgruppe „Gesellschaftliche Öffnung des privaten Lebens im Bereich Mobilität“ (GÖPL-MOB) an die Hand genommen. Bereits bestimmte Mitglieder von GÖPL-MOB sind der Berner Mundartschriftsteller Pedro Lenz, der in den Siebzigerjahren als Ökoterrorist verdächtigte Marco Camenisch sowie die Glarner Ski-Olympiasiegerin Vreni Schneider. GÖPL-MOB soll bei voller operativer Tätigkeit 250 Personen des öffentlichen Lebens aus den Bereichen Kultur, Wissenschaft, Wirtschaft, Sport, Politik und Erziehung umfassen. Der Projektstart ist für den 2.April 2014 festgesetzt. (sda)
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