Alles neu macht der Mai

…wenn man ihn lässt. Normalerweise. Aber diees Jahr ist vieles anders. Was darf man von diesem unserem menschverbeulten Klima noch erwarten? Offenbar nicht mehr als einen Tag schönes Wetter auf einmal. Als Folge davon muss man – entgegen unserer allgemeinen Überzeugung – alles selber machen, sogar das Neue im Mai.

Ich habe mich dafür entschieden, das Cockpit meines Alltagsfliegers neu zu gestalten. Also habe ich mir Kabelhüllen in der Farbe mit dem erfrischenden Namen spearmint gekauft, das seit Jahren vorhandene Röllchen Baumwoll-Lenkerband von Newbaum’s in der weniger frisch benamsten, dafür an Radsportlegenden gemahnenden Farbe celeste rausgeholt und das Schellack-Fläschen aufgemischt. (Schellack ist übrigens eine Flüssigkeit, die aus dem Exkrementen von Schildläusen gewonnen wird. Diese Tatsache kommt mir jedesmal in den Sinn, wenn ich auf mein Velo klettere und losfahre. Diese Läusekacke ist übrigens äusserst schwer zu kriegen hierzulande.) Nachdem ich das ausgebleichte und schmutzige Lenkerband der Farbe orange entfernt hatte, konnte ich mich und mein Velo der Prozedur nach Guru Grant hingeben (wenn auch nur zwischen den Griffen, wo der schwarze Lenker sonst so furchtbar nackt aussähe). Besser als eine Stunde Meditation, sage ich euch. Der knopflose Abschluss in Hanfschnur macht richtig Freude und ist das Tüpfelchen auf dem i.

Obwohl – oder eigentlich gerade weil – ich nicht genau weiss, was die Funktion des Schellacks in diesem Zusammenhang sein könnte, bepinselte ich einen Teststreifen mehrmals und entschied mich dann für einen doppelten Anstrich.

Nuancen von oben nach unten, nein umgekehrt: kein Schellack, ein Anstrich, zwei Anstriche.

Die Hoffnung ist: so wird das Band vor frühzeitigem Ausbleichen, Schmutz und Regen geschützt. Die Farbe wird im Fall von celeste wesentlich intensiver, wie das Bild ahnen lässt. Ausserdem fühlt es sich unglaublich cool an, mit einer gehemnisvollen Flüssigkeit an seinem Fahrrad rumzumachen, von der niemand mehr gehört hat, seit Schallplatten eben nicht mehr aus Schellack, sondern aus Vinyl gemacht werden. Jawohl, Schallplatten. Man stelle sich all die Läusefarmen vor, die nötig waren, um den Musikmarkt in Schwung zu halten! Ich habe mal einem Freund mehrere Kisten mit Schellack-Schallplatten beim Umzug hinterhergetragen und weiss daher, dass in so einer Scheibe ganz ordentlich viel Dung drinsteckt. Es lebe das Vinyl!

Zurück zu meinem Cockpit. Dank den Läusen harmonieren Kabelhüllen und Lenkerband nun fast perfekt. Gerne hätte ich, der Himmel täte es den beiden gleich, denn celeste heisst ja nichts als himmelblau. Aber man kann nicht alles haben, und ich habe nun immerhin wieder ein neu anmutendes altes Velo und viel Spass damit.

Spass hatte ich auf der selbstverständlich überflüssigen und darum obligaten Probefahrt, als ich unversehens in ein Mohnfeld geriet. Ganz in der Nähe waren übrigens ein paar Automobilisten mindestens so unversehens in eine Warteschlange geraten, die sich aus unerfindlichen Gründen und komplett unerwartet kurz vor Pfingsten – ausgerechnet! – auf einer Autobahn ergeben hatte:

Wenn jetzt gleich im Juni schönes Wetter wird, dann ist das eine Neuigkeit, und so gesehen ist dann der Juni der neue Mai, weil er einiges neu macht. Mir soll’s recht sein. Wenn ich nur endlich wieder mehr Rad fahren als Rad putzen kann.

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