Mea Culpa: Ich habe mir ein weiteres Velo gekauft, owohl ich wusste, dass ich das nicht sollte.

(Beitragsbild: Instagram / Shandcycles)

Es war gegen Ende des langen, lange vergangenen Winters. Seit Monaten bestand meine Beziehung zum Fahrrad aus Podcasts hören, auf der Rolle strampeln und in der Garage Ersatzteile sortieren nach „weiss, was es ist“ und „stammt das vom Rasenmäher“. Dazwischen träumte ich von Fahrradtouren im Sommer oder glitt im Traum samt Fahrrad auf einer Eisfläche aus.

Auf dieser emotionalen und auch körperlichen Durststrecke war ich besonders anfällig für die Sirenengesänge der Veloindustrie. Seit Wochen traktierten sie mich über Big Data mit Bildern und Geschichten von so genannten „Gravel Bikes“, einer Trottoirmischung aus Rennrad und Mountainbike. Diese Mischung sieht recht übel aus, als ob Gisèle Bündchen und Dwayne Johnson Nachkommen gezeugt hätten, die dann aussehen wie Winston Churchill. Keine Ahnung, wie das weltweite Netz dazu kam, mir solches einzublenden, wo ich mich doch gar nicht für ein Velo interessierte. Ich besass zu der Zeit bereits vier, und ich weiss und bin tief vom Gedanken beseelt, dass es völlig egal ist, auf was für einem Fahrrad man sitzt, solange man mit einem fährt. Jedes Fahrrad, das einen einigermassen schmerzfrei vorwärts bringt, macht einen mit hoher Wahrscheinlichkeit glücklich. (Ich weiss, diese Überzeugung steht zu einem gewissen Grad im Widerspruch zur Anzahl Räder in meinem Stall. Aber stecken wir nicht alle voller Widersprüche? Also, dann lasst mich doch in Ruhe!)

Ich wurde also schwach und kaufte mir konsequenterweise und klammheimlich ein Gravel Bike. Heute muss ich sagen: ich bin angenehm überrascht, sehr angenehm. Dieser Zwitter, dieser Hybrid zweier scheinbar unvereinbarer Gegenpole funktioniert! Ein (oder mindestens mein) Gravel Bike ist schnell, aber komfortabel. Hat Grip im Kies, rollt aber ansprechend auf Belag (bei geschickter Reifenwahl; ich habe einen Zweizoll-Bikepneu aufgezogen). Schluckt Unebenheiten, beschleunigt aber flink aus der Kurve. Kann als reines Sportgerät  Grosses leisten, hat (in meinem Fall) aber alle Schnittstellen für Schutzbleche und Träger vorne wie hinten.

Wer nicht den Ehrgeiz hat, eines Tages die Tour de France zu fahren, kann also getrost von einer eierlegenden Wollmilchsau reden. Könnte, denn er wird kaum den Atem dazu haben, weil er mit der Sau über die Kiespisten der weiteren Umgebung prescht.

Es ist paradox: Da wurde mit dem Gravel Bike eine weitere Nische, eine Richtung der Spezialisierung geschaffen. Und dann reibt man sich verwundert die Augen, weil da ein Fahrrad vor einem steht, das irgendwie alles ein bisschen kann, ein Allrounder, wie man ihn seit Jahrzehnten schon vermisst hatte.

Ein paar Einschränkungen gibt es aber schon, wobei das ein wenig davon abhängt, wo man sein Gravel Bike zum Einsatz bringt. Wo ich wohne, sind zum Beispiel Naturstrassen je länger, je seltener. Die nicht asphaltierten Strassen sind meist Forst- oder Alpstrassen, die irgendwo einen Berg hoch führen und dann aufhören. Die sind nicht sehr interessant zu fahren, so durch den finsteren Monokulturwald hoch und wieder runter. Die schönen Kiesstrasse muss man sich sorgfältig zusammensuchen, aber das hat dann auch schon wieder einen gewissen Reiz: sich immer wieder neue Strecken zusammensuchen mit einem grösseren Kiesanteil.

Und, auch abhängig vom Wohnort, kommt es vor, dass man mit einem Gravel Bike allein auf weiter Flur ist, und zwar im bildlichen Sinn. Rennvelofahrern wird man sich nicht anschliessen, weil die dann doch noch einen Zacken besser rollen, und Mountainbiker suchen in der Regel Singletrails, und die sind mit dem Gravel Bike nicht einfach zu bewältigen. Dann kann man nur noch allein fahren oder sich in einer einschlägigen Partnerbörse einen anderen Gravelbiker suchen.

Aber ab und zu ein paar Stunden allein zu rollen, schadet ja niemandem. Besonders, wenn das Gravel Bike nur eines unter vielen im Stall ist. Und wenn ich nun unbedingt eines loswerden müsste – ein ziemlich groteskes Gedankenspiel, aber lassen wir und mal darauf ein – ich käme echt ins Grübeln. Wenn ich dagegen nur eines auf eine einsame Insel mitnehmen dürfte, müsste ich nicht mehr lange überlegen. Vorausgesetzt, es gibt Kiesstrassen auf der Insel…

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