Anders als das Beitragsbild mit der Antenne suggeriert, habe ich keinen sehr direkten Draht zum Himmel. Trotzdem hatte ich dieses Jahr am Pfingstsamstag eine Erleuchtung der bleibenden Art. Der Heilige Geist ist mir dabei nicht gerade erschienen. Eher der Kleingeist. Der Kleingeist in mir.
Es trug sich nämlich zu, dass die komplette velopflock-Hauptredaktion schon am Freitag vor Pfingsten zu einer gemeinsamen Velotour in den Jura aufbrach. Nicht zwecks Team- oder Visionenbildung, das hielten wir nicht für nötig. Nein, einfach, um viel und gut zu essen und ebenso Velo (frz.-umgangssprachlich für Fahrrad) zu fahren. Auf Instagram (Menü (frz. für Speisekarte)-Button oben links auf unserer Website) könnt ihr den Verlauf der Tour (frz. für und ihr bitteres Ende bruchstückhaft (sic!) nachverfolgen.
Am zweiten Tag fuhren wir also zu zweit in die Uhrenstadt La Chaux-de-Fonds ein, um einen Café (frz. für Kaffee) zu konsumieren, denn wir wissen, was der Radtourist seiner Umgebung schuldet. Und seinem Magen, weshalb wir auch auf ein Croissant (frz. für Hörnchen / Gipfeli) aus waren. Wie es das Stadtwappen gebietet, herrschte emsiges Treiben rund um den Marktplatz in der Innenstadt.
Das Strassennetz von ChdF mag seit dem Stadtbrand von 1794 schön rechtwinklig angelegt sein, aber sehr breit sind die Strassen deswegen nicht alle. Die in nordöstlich-südwestlicher Richtung verlaufenden Boulevards (frz. für Prachtstrassen) vielleicht, nicht aber die Querstrassen dazu.
Irgendwann überholte ein Auto uns recht knapp, was einer von uns beiden mit einem Klopfen aufs Dach des Wagens quittierte. Es kam nun, wie es kommen musste: Der Wagen fuhr aufs Trottoir (frz. für Gehsteig), hielt an, und der Fahrer stieg aus. Mit affenartiger Behändigkeit, aber komplett unauffällig riss ich den Reissverschluss meiner Lenkertasche auf, in welcher ich mein Schweizer Armeemesser aufbewahre. Man weiss ja nie. Ausserdem befindet sich dort immer auch eine Mini-Apotheke.
Ein vielleicht Fünfundzwanzigjähriger mit Stoppelbart und Sonnenbrille stieg aus, schritt entschlossen auf uns zu, reichte uns die Hand und fragte resolut, aber beherrscht:“C’est quoi, le problème?“ (frz. für „Was ist das Problem, Alda?“). Nach unserem ersten französischen Satz wechselte der Herr verständnisvoll ins Deutsche und erklärte, dass da doch wirklich genug Platz gewesen sei zwischen ihm und dem Bordstein. Noch immer etwas aufgebracht, aber ebenfalls in gesittetem Ton erklärte der Dachklopfer unter uns, dass er das aber komplett anders sehe, denn wenn dem so gewesen wäre, hätte er nicht ohne weiteres das Dach der Limousine (frz. für Auto mit festem Dach) beklopfen können. Eine weitere halbe Minute lang versicherten wir uns gegenseitig unserer Standpunkte und derer Unvereinbarkeit, dann schüttelten wir uns nochmals die Hände, wünschten einander einen schönen Tag, und der Wagen verschwand im samstäglichen Einkaufsverkehr von La Chaux-de-Fonds. Ich zog meine Lenkertasche wieder zu.
Die Begegnung liess uns verdutzt, um nicht zu sagen leicht verstört zurück. Wir hatten eine Schimpftirade erwartet und üble Drohungen, die wir mangels echten Französisch-Kenntnissen nicht verstehen würden. Es dauerte länger als das Rencontre (frz. für Begegnung, Wiedersehen, auch: Gefecht) selber, bis wir unsere Suche nach einem geeigneten Café fortsetzen konnten. Mir war inzwischen eher nach Tee zumute. Vielleicht Verveine (frz. für Eisenkraut), zur Beruhigung?
Was mich so erschüttert hat, ist nicht die Tatsache, dass ein Autofahrer uns persönlich kontaktierte. Daran ist man sich als Velofahrer gewöhnt. Was mich durcheinanderbrachte, war, wie gross meine Überraschung gewesen war, dass der Mann uns nicht mit hochrotem Kopf anbrüllte oder uns an die Gurgel wollte. Nicht, dass mir sowas schon sehr häufig passiert ist. Aber man liest ja so einiges. Rein rational war mir immer klar, dass Autofahrer genausowenig auf eine Prügelei oder eine peinliche Szene in der Öffentlichkeit aus sind wie Radfahrer. Erschreckt hat mich, wie fern mir die Vorstellung lag, dass die Begegnung einen zivilisierten und ruhigen Verlauf nehmen könnte. Sehr ungut. Ich werde mich nun aber bessern. Der Händedruck war der Schlüssel!
Wir setzten uns wenig später ins ABC Théatre Cinéma Café (frz. für Refugium für verstörte Radtouristen) und genossen den Sonnenschein, den Café au lait und Croissants.
Auf dem Platz schüttelte ein Vater entnervt sein Kind und schrie es an:“C’est quoi, le problème?“ (frz. für „Jetzt lass mich doch endlich mal in Ruhe, du Gör!“). Ich lehnte mich zurück und freute mich daran, wie souverän (abgeleitet von frz. souverain für eigenstaatlich, selbstherrlich) wir die Situation mit dem Autofahrer gemeistert hatten.