Dieser Tage wird dem Velo in den Medien ungewöhnlich viel Platz eingeräumt, und dies für einmal nicht in Form von Reklame, die mit Fahrrad soviel zu tun hat wie deutsche Küche mit veganer Lebensweise. 200 Jahre alt soll es geworden sein, das Velo. Der Zürcher Tagesanzeiger beispielsweise widmete ihm deshalb eine ganze Reihe Artikel, verteilt in einer ganzen Samstagsausgabe, gebündelt in einem Dossier in der Online-Ausgabe. Das sieht dann so aus:
So weit, so gut: Ich habe den Film „Love Story“ schon gesehen, kann hier also mitreden, und was mich angeht, möchte ich vom Zweirad sicher gern als dem nützlichsten nicht-menschlichen Begleiter des Menschen sprechen. Als Konkurrenz zum Hund vielleicht? Schaut man sich die Infrastruktur für den Veloverkehr in den Schweizer Städten und Agglomerationen an, müsste man allerdings ganz schnell das Pendant zum Tierschutzverein von der Leine lassen. Gibt es aber leider nicht. Während dem Tier inzwischen einige Rechte eingeräumt werden, kauert das Velo in diversen Ecken der Strassengesetzgebung. Bloss nirgends so richtig. Es wird nicht richtig gequält, aber, ebenso schlimm, einfach ignoriert.
Dass das Velo nicht von allen Menschen als nützlich betrachtet wird, leuchtet ein. Das wäre zu viel erwartet. Jeder hat seine eigenen Prioritäten, wenn es darum geht, seine Lebenszeit zu vergeuden. Das Fahrrad aber hat heute und in der Schweiz immer noch ein massives Imageproblem. Eines wie in den Schwellen- und Drittweltländern: Es ist ein Symbol für Armut. Wer, bitte schön, fährt denn Fahrrad, wenn er das Geld für ein Auto hat? Das findet auch die altehrwürdige Neue Zürcher Zeitung und zeigt das recht plakativ (ich hoffe, fast, unbewusst):
Das Bild zu einem Artikel über bedürftige Betagte ist also tatsächlich ein Velofahrer. Willkommen in der Realität 2017.
Damit soll weder dem einen noch dem anderen Blatt ein Vorwurf gemacht werden. Aber diese beiden Ausschnitte zeigen prächtig, dass das Velo noch einen weiten Weg hat in unsere Herzen (die uns ein Velo kaufen und unterhalten lassen, denn nur was man liebt, zu dem trägt man Sorge) und noch einen viel weiteren Weg in unsere Gehirne (welche morgens entscheiden, mit welchem Verkehrsmittel wir heute ins Büro oder ins Fitness-Center fahren wollen). Love Story? Pah! Viel eher kommt einem“Alien“ oder „Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“ in den Sinn. Keine Herzwärmer im engeren Sinn jedenfalls. Und so ist es kein Wunder, dass auch dort, wo die Infrastruktur vorhanden ist, es die Radfahrer nicht sind:
(Falls Sie geschmunzelt haben bei der Vorstellung, dass jemand mit dem Fahrrad ins Fitnessstudio fährt: Sie sind nicht allein, wie das folgende Bild aus dem Boneshaker Magazine zeigt.)