Eine klare Rollenverteilung hilft.

Es war eine Kleinigkeit, eine unscheinbare Begebenheit, aber etwas blieb haften. Ich hatte meinen Sohn auf dem Schulweg bis zum Briefkasten begleitet, um mir die Zeitung zu holen. Von dort rannte ich hinter ihm her, zum Spiel, die Auffahrt runter, bis zur Quartierstrasse. Ein Auto kam diese herauf gefahren, ziemlich steil ist die Strasse, und die Fahrerin hupte, damit der Junge ihr nicht vor das Auto laufen würde. Er blieb abrupt stehen. Ich ebenfalls, einige Meter hinter ihm. Das Spiel war offenbar vorbei, ich grüsste ihn und ging zurück zum Haus, er in die Schule.

Nichts besonderes. Die Frau hatte es ja gut gemeint, uns zugewinkt. „Hoppla, ihr beiden, mal nicht so ungestüm!“ schien ihr verständnisvoll-milder Blick sagen zu wollen. „Ist doch eine Strasse hier!“ Aus Rücksicht, aus Sorge sogar. Aber angehalten hatte sie nicht. Sie war in die Einfahrt zu unserem Vorplatz gefahren, den wir uns zu siebt teilen, sie wollte dort wenden. Sie hatte uns gewarnt, aber angehalten hatte sie nicht sofort. Vielleicht, weil sie überfordert war mit Lenken, am Berg fahren, einen Platz zum Wenden suchen, und dann noch zwei Fussgänger, rennend. Vielleicht aber war es auch einfach ihr Selbstverständnis als Autolenkerin, das ihr die Option, sofort anzuhalten, nicht zur Verfügung stellte.

Das ist die Perfidie an dem Erlebnis, und sie ist nur scheinbar eine Kleinigkeit: Wer sich ohne Auto auf den Strassen bewegt, hat eine äusserst hohe Eigenverantwortung. Es wird gebremst, wo’s geht, aber allzu leichtfertig und unbekümmert sollte man sich schon nicht verhalten. Die Strasse gehört dem Auto, und sie beginnt an der Schwelle der Garage und endet dort, wo der Zündschlüssel wieder gedreht wird, um den Motor auszuschalten. Wer dazwischen mal kurz queren oder entlanggehen möchte, zieht sich besser warm an. Gefälligst. Zum Beispiel mit Fahrradhelm oder Leuchtweste. Und wo es schon so schicke Helme gibt, lasst sie uns doch gleich für obligatorisch erklären, sonst verletzt sich noch wer vor lauter Unbekümmertheit. Leuchtwesten gibt es auch in Grösse XS, also wäre es doch mehr als fahrlässig, wenn Krippenkinder ohne Leuchtweste durch ihre Betreuerinnen spazieren geführt würden. Ja, auch die lieben Kleinen im Wagen. Wär doch ein Jammer, wenn da was passieren würde. Haben Sie übrigens eine Distanzkelle am Fahrrad? Gibt es neu auch in Grün, neben dem Retroschick in Orange. Fahren Sie Ihr Rad ohne Tagfahrlicht? Und die Leuchtweste, die gibt’s natürlich auch in Erwachsenengrösse, auch atmungsaktiv, auch schicke Modelle, mit denen man sich nicht nur auf dem Pannenstreifen der Autobahn blicken lassen kann, haha. Richtige Accessoires sind das, wie die Leuchte hinten am Helm, übrigens.

Das mit den Leuchtwesten an den Krippenkindern, auch das ist wahr und nicht erfunden.

Diese Rollenverteilung im Verkehr, haben wir die nicht alle verinnerlicht? Die Strasse gehört den Autos, und der ganze Raum rundherum auch. Bloss mit der Fahrbahn kommt so eine grosse Maschine doch nicht aus! Also bitte etwas Verständnis. So ein Fussgänger kann nicht zuletzt auch besser bremsen und sich wieder in Bewegung setzen als ein Auto, das ist nicht unwesentlich in Zeiten der Energie-Effizienz. Und sehen tut er auch mehr, der Fussgänger. Oder der Radfahrer. Da geht man doch gerne einen Schritt zur Seite. Ist ja nur eine kleine Geste, und sie rettet immerhin mein Leben. Für ein Auto ist das dann schon etwas umständlicher, das Ausweichen oder Platz machen.

Eine kleine Begebenheit war das gewesen heute Morgen in der Einfahrt. Aber sie hat mir unter der Haut gesessen, den halben Vormittag lang. Nicht, weil ich Hupen in einer Tempo-30-Zone in einem Wohnquartier morgens um acht für unangebracht halte. Sondern weil da schon so viele Erlebnisse und Beobachtungen gesessen haben. In den Kreisel einfahrende Autos, die mich, bereits im Kreisel drin, ignorieren, warum auch immer. Autos, die vor der Verengung der Strasse durch die Fussgängerinsel mit Streifen ein Fahrrad überholen, bloss um dann am Streifen anzuhalten. All die Autos, die auf Radstreifen abgestellt sind. Der Autofahrer, der mich am letzten Samstag gestikulierend darüber informierte, dass ich auf der falschen Seite der Verkehrsinsel über die Kreuzung gefahren sei. Den Wegweisern nach, ich Dummkopf, danke für die Information!

Das reicht jetzt aber als Aufzählung. Das soll hier ja nicht verbittert klingen. Schliesslich geht es unter anderem ums Radfahren und um Kinder, beides Gründe zum Optimismus, zur Freude. Meistens.

Ob hier ein Autohasser schreibt? Ich glaube nicht, nein. Wobei, wenn Sie mich so fragen: Wäre das erstaunlich oder falsch, verwerflich? Es gibt immer wieder Momente, da scheint es, es könne auf den Strassen überhaupt nur zwei Typen von Menschen geben: Autofahrer und Autohasser. Das geht aber immer gleich wieder vorbei. Das Leben besteht ja nicht nur aus Schwarz und Weiss. Das sieht nur manchmal so aus, weil es praktisch nur noch schwarze und weisse Autos zu geben scheint.

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