Es gab eine Zeit in meinem Leben, da wollte ich Berufsradfahrer werden. Ich war zwölf, vierzehn Jahre alt und verbrachte meine Frühlingsferien – mindestens die Nachmittage – damit, den Giro d’Italia im Fernsehen live zu verfolgen, damals notgedrungenerweise auf dem Kanal der italienischen Schweiz. Eurosport oder sowas war noch nicht, nicht bei uns zu Hause jedenfalls. Italienisch verstand ich nicht, aber ich fing an, den Klang der Sprache zu mögen, ebenso die italienischen Dörfer, Pässe und Radsportfans.
Als Radprofi hätte ich nicht mal unbedingt den Giro oder die Tour gewinnen oder Weltmeister werden wollen. Wochenweise durch die malerischen Landschaften Belgiens, Italiens oder Frankreichs zu gondeln, hätte mir bereits genügt! Vielleicht mal ausreissen und Held des Tages werden, meine Eltern und den Pausenplatz-Bully vom Tagespodest grüssen oder mit grimmig-entschlossener Miene von der Startrampe des Einzelzeitfahrens donnern, vor laufender Kamera. Und schliesslich das Rennrad nicht grad immer selber warten müssen. Von der Art waren meine Träume. Aber nicht so intensiv, dass ich besonders viel Energie für ihre Verwirklichung aufgewendet hätte, wie man weiss (wenn man den Eintrag „We embrace All Kinds of Cycling II“ vom 12. Mai 2016 gelesen hat, welchen ich hier leider nicht verlinken kann, weil mein Computer kaputt ist und ich diese Zeilen mühsam auf meinem Smartphone zusammenstückeln muss, und die Link-Funktion überfordert meine groben Finger etwas.).
Wie das so ist: irgendwann holen einen die veegessenen Träume der Jugend ein, und so dachte ich manches Mal mit einer Mischung aus Reue und schlechtem Gewissen, wie es wohl gewesen wäre, wenn ich ernsthaft eine Sportlerkarriere angestrebt hätte.
Damit ist jetzt Schluss, aber gründlich. Letzte Woche habe ich auf Rouleur.cc in der Bildergalerie zur eben zu Ende gegangenen Tour de France folgendes Bild entdeckt:
Ja, zoomen Sie doch mal rein auf den Zettel an der Wand. Wohlgemerkt: das Bild ist beim Einfahren entstanden, wohl vor einem Zeitfahren, und nicht im Labor eines Verhaltensforschers. Kein Wunder, werden die grossen Rundfahrten immer langweiliger. Wenn Renninstinkt oder Intuition oder Temperament der Fahrer ersetzt werden durch im Voraus gefertigte Pläne von Teamleiter oder Arzt, kommt es auch nicht mehr zu überraschenden Ausreissversuchen gut klassierter Fahrer. Diese sind irgendwann nur noch Muskeln und Maschine, ohne Herz und Hirn. Spannend sind die Rundfahrten allenfalls noch im mehrjährigen Vergleich, aber von Statistiken allein hat der Zuschauer ja auch nicht gegessen.
Ich finde das Bild beklemmend und gruselig. Arme Dinger, diese Berufsfahrer. Ob sie allein aufsWC dürfen? „1815: pee in the hotel washroom. 1827: lay down on back for massage. 1945: bring fork and spaghetti to mouth, 25 reps. 2100 till 730: sleep, 25 % on your right, 25 % left, 50 % back, no belly.“ Gucken werd ich weiterhin, aber vom Profitum träumen? Dankeschön.