Das Fahrrad als Spiegel der Gesellschaft

Ein Bild sagt mehr als tausend Worte, sagte mal ein weiser Mensch (allerdings mit sieben Worten, was mich etwas stutzig werden lässt – wieso hat er nicht 0.007 Bilder verwendet?). Järmann und Schaad, die Zeichner/Texter, welche den Tagesanzeiger zur lesenswertesten Zeitung der Schweiz machen, mischen Worte und Bilder immer wieder, um noch viel mehr zu sagen. Letzte Woche haben sie mit ihrem täglichen Comic „Eva“ wieder einmal Begeisterungsstürme auf der velopflock-Zentralredaktion ausgelöst (wir entschuldigen uns bereits hier bei den Freunden der elektrisch betriebenen Mobilität für die Themenwahl – aber lest doch trotzdem weiter, ja?):

EvaHometrainerGanz

Für E-Mountainbikes mag ich persönlich auch ganz gern das Bild der heliumgefüllten Carbon-Hantel: Ich kann sie locker herumwuchten (auch nur einmal alle Schaltjahre!), ohne einen Tropfen Schweiss zu verlieren oder rot anzulaufen, und trotzdem kann ich anschliessend zufrieden meinen Kumpels berichten, ich hätte an der Hantel trainiert! Eine feine Sache.

Aber eigentlich ist das E-Mountainbike, hier der Kürze halber eMTB genannt, bloss ein Spiegel der Gesellschaft, für die es erfunden, massgeschneidert wurde. Nämlich unsere leistungsorientierte und gleichzeitig konsumversessene Gesellschaft des jungen dritten Jahrtausends, in der alles immer, überall und für jedermann verfügbar und realisierbar zu sein hat. Sonst werden wir ganz ungehalten. Frage ich meine Mitmenschen, worin denn der Sinn eines Sportgerätes liege, das mir das Sporttreiben abnimmt, dann kriege ich meistens zwei Antworten:

  1. Mit einem eMTB kann ich auch im fortgeschrittenen Alter immer noch krasse Biketouren unternehmen, so wie früher!
  2. Mit einem eMTB kann meine Frau endlich auch mit mir auf Biketouren kommen!

Doch, das stimmt, diese Antworten sind nicht frei erfunden im Drogenrausch oder nach einer durchzechten Nacht! Die erste Antwort ist einerseits etwas traurig, weil da jemand Mühe mit dem Altern hat. Und andererseits beunruhigend, weil ich für den Jemand nur hoffen kann, dass seine fortgeschritten gealterte Koordination ihm noch erlaubt, ein 20 Kilo-Bike auf einem krass abschüssigen Singletrail zu steuern. Will der denn ewig wie ein Fünfundzwanzigjähriger leben? Penibel.

Die zweite Antwort stimmt mich nicht weniger traurig: Die Frau würde sicher ganz gern mal ein paar Stunden in Ruhe daheim verbringen, statt mit ihrem Ignoranten von Ehemann auch noch biken zu gehen. Der hat es nämlich früher, bevor er ihr so ein geiles eMTB gekauft hat, nie für nötig gefunden, seinen sportlichen Ehrgeiz ihr zuliebe mal zwei Stunden lang beiseite zu schieben, um mit ihr zusammen – biken zu gehen. Er hätte ja ein halbes Training verpasst!

All den Schlaubergern müssen wir Mut machen, den ganzen Weg zu gehen, zu ihren innersten und geheimsten Wünschen zu stehen und es sich RICHTIG bequem zu machen auf dem Fahrrad. Schicken wir sie nach Berlin, machen wir ihnen einen Termin bei berlinhorizontal.de:

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(Was wir ihnen aus Schadenfreude verheimlichen: Der Herr mit der Schirmmütze wird ihnen bei schönem Wetter ein rüschenbesetztes Schirmchen in die Hand drücken, chch.)

2 Gedanken zu “Das Fahrrad als Spiegel der Gesellschaft

  1. Du rüttelst gefährlich an einer der Grundfesten unserer freiheitlichen Gesellschaftsordnung, lieber Paul Tambourin, die da lautet: Gewohnheiten sind dazu da, um daran festzuhalten. Wer sie und deren Auswirkungen hinterfragt, wird selbst in Frage gestellt.

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