Tag Zwei

Tag Zwei war ein sehr langer Tag. Vier Tage lang, um genau zu sein.

Nachdem ich das Rahmendreieck abermals in der Rahmenlehre zusammengesteckt habe, passen auf einmal alle Verbindungen, Längen und Winkel. Ich pinsle alle Lötstellen mit viel zu viel Flussmittel ein, und dann tut der Lötbrenner, was er halt so tut. Ein paar Minuten später ist das fertig gelötete Rahmendreieck abgekühlt, und ich nehme es am Stück aus der Rahmenlehre, um das verschmorte Flussmittel im Wasserbad einzuweichen. Gemäss Lehrbuch will das Rahmendreieck nach dem Bad gerichtet werden, was aber so nicht klappt. Alles ist schon tip top gerade!

Der nächste Schritt ist der Hinterbau. Stundenlang «schnitze» ich die Ketten- und Sattelstreben, damit sie schön an das Sitzrohr, die Tretlagermuffe, und an die Ausfallenden passen. Klingt einfach, ist es aber nicht. Die Schnitzerei dauert ewig, und ich darf mir keinen Fehler erlauben, weil es im eindrucksvoll grossen Lager keinen Ersatz für meine Rohre gibt. Irgendwann ist der Hinterbau am Rahmendreieck angelötet, und ich halte etwas in den Händen, was schon sehr wie ein Velorahmen aussieht. Dann fräse ich noch schnell das Tretlagergehäuse plan und schneide mit der Trennscheibe den überstehenden Rest des Steuerrohrs ab (nur nicht abrutschen jetzt!).

Weil es draussen noch immer nicht richtig dunkel ist, vergessen wir die Zeit und beschliessen, noch schnell das Führungsröhrchen für das Lichtkabel im inneren des Unterrohrs einzubauen. Wie das Röhrchen in den Rahmen kommt? Wer sich das genau überlegt, kommt bald zum Schluss, dass es ohne Zauberei nicht geht. Wie ein echter Zauberer verrate ich nicht die Tricks, mit denen ich und der diensthabende Zaubermeister das 5 mm Messingröhrchen im Inneren des Rahmenrohrs positioniert und befestigt haben. Auf jeden Fall haben wir viel geflucht, gemurkst, gebohrt, und gefummelt, bis in die Nacht hinein. Als es einige Stunden später wieder hell ist, scheppert der Rahmen bei der kleinsten Berührung wie eine überdimensionierte Babyrassel, weil das Messingrohr von innen gegen das Unterrohr schlägt. Mit dem nun anwesenden Oberzaubermeister wird dem Rahmen der böse Zauber ausgetrieben. Im Interesse meiner seelischen Gesundheit muss ich allerdings davon absehen, mich genauer an dieses nervenaufreibende Ritual zu erinnern. Deshalb verzichte ich hier auf eine genauere Beschreibung des Vorgangs.

Weiter geht es mit den kleinen und unscheinbaren Stegen zwischen den Ketten- und Sitzstreben, wo später einmal das Schutzblech am Rahmen befestigt werden soll. Kleine Teile, viel Arbeit! Insbesondere der Steg zwischen den Kettenstreben will einfach nicht richtig passen. Die Kettenstreben sind an der betreffenden Stelle derart unförmig, dass der Dremel nur mit grosser Mühe die richtige Passform in den Steg schleifen kann. Irgendwann sind die Stege zwischen den Streben eingelötet (fluchen hilft), und auch die Schraubenösen zur Befestigung des Gepäckträgers finden ihren Platz. Nun werden noch die Kabelanschläge für die Schaltzüge auf den Rahmen gelötet, und mit der Trennscheibe wird das Sattelrohr an der Sattelstützenschelle aufgeschlitzt (schonwieder nicht abrutschen!).

Es fehlt noch die Gabel. Die linke Gabelscheide ist aus irgendeinem Grund unten dicker als die rechte. Oder war es anders herum? Egal, das entsprechende Ausfallende wird mit dem Dremel passend gemacht. Dann werden die Gabelscheiden auf die richtige Länge abgetrennscheibt, und auf der Innenseite werden Lüftungslöcher gebohrt. Die Ausfallenden werden daraufgesteckt und ab zum löten… Moment, die Ausfallenden sitzen verkehrt und müssen zuerst um 180° gedreht werden. So wird aus der linken Gabelscheide halt die rechte und umgekehrt. Das heisst aber auch, dass die Lüftungslöcher nicht mehr innen sind, sondern aussen, und da gehören sie nun wirklich nicht hin. Mist! Glücklicherweise findet der Oberzaubermeister im Lager noch einen zweiten Satz passender Gabelscheiden, die ebenso unsymmetrisch unten-zu-dick sind. Alles von vorne, und dann wird die Gabel gelötet!

Als es draussen wieder dunkel wird, löte ich noch schnell die Aufnahme für die Scheibenbremse an die Gabel. Aber dazu schreibe ich erst etwas, wenn es wieder hell ist.

Ein Gedanke zu “Tag Zwei

  1. Mit dem Velobauen ist es offenbar wie mit dem Velofahren: Man braucht Ausdauer, einen starken Willen und etwas Zeit. Man lernt Demut, Beharrlichkeit und Bescheidenheit (bitte nicht im Detail nachfragen, wie genau, denn es ist einfach so!). Und wenn man fertig ist, ist man der zufriedenste Mensch auf der ganzen grossen Erde. Also dranbleiben! Fertigbauen! Weiterposten!

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