Alles in Ordnung

Die kleinste Grossstadt der Schweiz hat ein online-Portal erstellt, wo jedermann auf (technische) Missstände im öffentlichen Raum hinweisen kann: stinkende Mülleimer, umgefallene Bäume, einstürzende Brücken, explodierte Kernkraftwerke, oder für unsereins wirklich wichtiges: mangelhafte Veloinfrastruktur!

Hier ein aktuelles Beispiel aus der Kategorie «Signalisation / Lichtsignal»:

Sehr ungewöhnlich und sehr gefährlich ist die Verschwenkung der Velostreifenmarkierung bergab an den Querungstellen. Die Automobilisten fahren dort einfach geradeaus über den Velostreifen.

Ohne weitere Erkläuterungen ist das alles einigermassen unverständlich. Aber die Stadt lässt sich nicht lumpen und schaut nach. Sie antwortet nach wenigen Tagen:

Wurde überprüft, alles ist in Ordnung.
Freundliche Grüsse
Ihre Stadt Zürich

Auf meinem Weg zum VeloPlus Laden komme ich heute an der betreffenden Stelle vorbei und mache mir bei der Gelegenheit ein Bild der «Verschwenkung» (zugegeben, das war ein klitzekleiner Umweg). «Alles in Ordnung» sieht in Zürich so aus:verschwenkung

Nun ja, dieser Velostreifen hat nicht das Zeug zum Kuriositäten-Highlight des Jahres 2014 in der Kategorie «öffentlicher Raum»; auch nicht in der Unterkategorie «Signalisation / Lichtsignal». Aber dieser nagelneu gepinselte Veloweg ist ein leuchtendes Beispiel dafür, dass die Chefs der Pinsel und der gelben Farbe keine Ahnung vom Velofahren haben.

Die Velostreifenpinsler standen vor folgendem Problem: ein Zebrastreifen mit Fussgängerinsel, eine Autospur, ein Velostreifen, und kein Platz für alles zusammen. Was tun? Die Insel ist unverrückbar betoniert, und sie soll autofrei bleiben. Die Autos müssen der Insel also ausweichen. Der nachvollziehbare Lösungsansatz liegt auf der Hand: der Velostreifen muss sich vorübergehend in Luft auflösen! Vielleicht haben sich die Pinselchefs auch gedacht, dass sich der Strassenverkehr wohl gefälligst für die paar Meter über dem Zebrastreifen ruhig mal kurz vermischen und dann gleich wieder getrennte Wege gehen kann. Weiter unterstelle ich ihnen die (wohlwollende) Annahme, dass bei diesem Manöver niemand beschädigt wird oder sonst irgendwie vom rechten Weg abkommt. Dann hätten beim nächsten Zebrastreifen nämlich alle schon Übung und könnten dieses Kunststück dann gekonnt und ohne Herzklopfen wiederholen.

Ich sehe das anders. In Tat und Wahrheit wäre wohl allen (und vorallem den Velofahrern) geholfen, wenn dieser Velostreifen gar nicht existieren würde. Dann würden nämlich die Fahrzeuge auf der Strasse ganz unabhängig von ihrer Motorisierung und Räderzahl friedlich miteinander die Strasse runtersausen, vielleicht mit gelegentlicher Verwendung ihrer Bremsen. Es geht nämlich wunderschön bergab hier, der Geschwindigkeitsunterschied zwischen Autos und Velos ist gering, was das Miteinander erheblich vereinfacht.

Also liebe Stadt: bitte entfernt nicht nur die «Verschwenkung», sondern gleich den ganzen Veloweg – den braucht hier kein Mensch.

Nachtrag: Ich habe es mir nicht nehmen lassen, mein Anliegen auf «Züri wie neu» einzutragen. Die Antwort der Stadt kam prompt:

Antowrt siehe https://www.zueriwieneu.ch/report/5281
PS: Autofahrende ist das Befahren des Radstreifens nicht verboten, wenn kein Velo sich dort aufhält.
Freundliche Grüsse
Ihre Stadt Zürich

Aha. Dann ist ja alles in Ordnung. Mal abgesehen davon, dass die Stadt offenbar nicht lesen kann, und dass ich die Antwort nicht verstehe. Wer ist eigentlich «die Stadt»?

 

8 Gedanken zu “Alles in Ordnung

  1. Mit der Antwort beweist die Stadt, dass sie das Problem in keinster Weise nachvollziehen kann.
    Solche schönen Konstrukte gibts bei uns in Deutschland auch. Da wird an der Querungshilfe der Fahrstreifen auf unter 2 Meter verengt und der Radstreifen (genannt: Schutzstreifen(!)) auf einen knappen Meter. Und verkauft wird es allen Leuten als fahrradfreundlich und sicher. Da fehlen einem die Worte.

  2. Ich sehe das Problem nicht ganz. Die Stadt hat sich für getrennten Verkehr, also einen Radstreifen enstchieden, und der ist nach den Regeln der Kunst ausgeführt. Die Autos werden nicht geradeaus geführt, sondern nach rechts geleitet mit der Mittellinie, damit sie checken, dass ein Engpass bevorsteht. Der Radstreifen kann ja nicht über den Fussgängerstreifen drüberlaufen, weil der Fussgänger dort Vortritt hat und weil an Engpässen keine Radstreifen möglich sind. Ausserdem wette ich einen Fahrradsattel, eine Glocke und ein Velokäppi, dass der Fahrstreifen breiter ist als zwei Meter. Wer schlägt ein udn geht nachmessen? Es ist wirklich alles in Ordnung – wenn man denn einen Radstreifen will an der Stelle. Ich bin dafür, weil sich da sicher mehrmals täglich eine stehende Kolonne bildet, und mit Radstreifen besteht wenigstens eine Chance, dass die Velos rechts vorbei können.
    Die Antworten der Stadt sind aber wirklich doof knapp und barsch. Ob es da zuwenig Personalkapazität gibt, um die Plattform richtig zu führen?

    1. Ok, die Unterbrechung für den Zebrastreifen kann ich nachvollziehen. Dann wär’s aber konsequent, die Fahrspur für die Autos auch zu unterbrechen, oder? Schliesslich haben Autos und Velos auf der Strasse die gleichen Rechte und Pflichten.

  3. Diese Plattform wäre auch nicht für solche blöden Fragen gedacht. Eigentlich wäre ich dafür, dass in der Stadt Zürich nichts mehr für die Velofahrer gemacht wird – die halten sich sowieso an keine Gesetze. Und doch wird alles erdenkliche für diese zum Teil hirnlosen Mitbürger (nicht alle, aber sehr, sehr, sehr viele) gemacht… Braucht es an der Riedtlistrasse wirklich ein Radstreifen talswärts? Nicht wirklich, aber ein paar grüne Stadtangestellte boxen solchen Scheiss immer wieder durch!

    1. Kann ich gut nachvollziehen (mache ich manchmal auch so). Die Krux ist aber, dass Du trotzdem auf dem Velostreifen fahren müsstest. Wo’s einen Velostreifen hat, müssen Velofahrer den auch benutzen (Artikel 46, Absatz 1 des Strassenverkehrsgesetz) – egal ob er taugt oder nicht.

      1. Habe noch nie Polizeikontrollen gesehen hier in Zürich, die kontrollieren, ob man auf dem Velostreifen fährt… Ich sorge mich um meine Sicherheit und beanspruche daher meinen Meter Abstand zu einem parkierten Auto. Siehe auch Link. Wobei: Achtung beim Vorbeifahren an stehenden (wartenden) Autokolonnen. Unser Nachbar fuhr in die Beifahrertür, weil die Beifahrerin kurzfristig aussteigen wollte. Sein Knie ist kaputt, er an Krücken für mind. 10 Wochen krankgeschrieben…

    2. Liebe Helena, ja, die Polizei drückt (bei mir jedenfalls) die Augen ganz fest zu, wenn ich nicht auf dem Velostreifen fahre. Aber darum geht es hier nicht. Es geht darum, dass die Velowege so angelegt sein sollen, dass man sie auch benutzen kann, ohne sich dabei zusätzlichen Gefahren oder Einschränkungen auszusetzen (dein Dooring-Argument ist ein gutes Beispiel dafür). Genau deshalb plädiere ich dafür, dass man Velostreifen NUR dann anbringt, wenn sie diesem Anspruch auch gerecht werden. Das ist leider oft nicht der Fall, und ich wäre in diesen Situationen lieber ohne Absonderung vom restlichen Strassenverkehr unterwegs.

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