Velo fahrende Veganer der Schweiz, vereinigt Euch!

Dieser Blog will zwar unpolitisch sein, was heisst, dass er politisch neutral ist (aber nicht sprachlich, weshalb es der Blog und nicht das Blog heisst). Das bedeutet aber nicht, dass politische Ereignisse, Personen oder Sachverhalte hier keinen Platz haben. Vielleicht keinen Tummelplatz, aber doch immerhin einen Platz. Der Zusammenhang zwischen
politischen Themen und dem Velo ist manchmal angenehm unerwartet, so wie ein Lacher in einer Schweizer TV-Sitcom oder in einer Schweizer Parlamentsdebatte, oder wie positive Äusserungen in den deutschen Medien über die Bundeself im Vorfeld einer internationalen Fussballmeisterschaft.
Eine Verbindung zwischen Velofahren und der Revision des Raumplanungsgesetzes, über welche am 3. März in der Schweiz abgestimmt wird, ist allerdings nichts Überraschendes für Fachleute. Zu letzteren gehören offenbar nicht die Mannen und Frauen, welche sich im Schweizerischen Gewerbeverband SGV versammeln. Dieser Verband (Dachverband der KMU) hat in den letzten Wochen kräftig Abstimmungskampf veranstaltet, um gegen das Raumplanungsgesetz Stimmung zu machen. Unter anderem verschickte irgendein Repräsentant des SGV an irgendwen ein E-Mail mit Argumenten gegen das Gesetz, und zwar im Namen des Überparteilichen Komitees „Nein zur missratenen Revision des Raumplanungsgesetzes“. In dem E-Mail wurden die Adressaten aufgefordert, Leserbriefe gegen die Gesetzesrevision zu verfassen. Und weil das nicht so einfach ist, waren einige Muster-Leserbriefe an die Nachricht angehängt. Unglücklicherweise schickte der eifrige Abstimmungskämpfer das E-Mail dann aber gleich driekt an die Redaktion einer grossen Schweizer Zeitung, ohne den lästigen Umweg über deren Leser. Auf Anfrage war beim SGV keiner zuständig für dieses E-Mail, es sei gar nie verschickt worden, und ausserdem würden das die anderen auch tun. Schön, solche Antworten haben wir in der Primarschule doch auch immer gegeben! Der Wortlaut der Muster-Leserbriefe klingt in ähnlicher Weise an jene schöne und auch so ferne Zeit an. Zum Beispiel im ersten Satz des ersten Musterbriefes, welcher deshalb hier im wörtlich und mit Original-Interpunktion wiedergegeben sei (wer genau hinschaut, wird bemerken, dass das eigentlich zwei Sätze sind):

„Ich habe immer geglaubt, dass alles, was die Bundesverfassung regelt, unantastbar ist Das war offenbar ein Irrtum, wie der Fall der Revision des Raumplanungsgesetzes zeigt.“

Ja, was ist denn in der Bundesverfassung so alles geregelt? Nichts weniger als „die grundlegenden Rechte und Pflichten der Bürgerinnen und Bürger und der gesamten Bevölkerung sowie den Aufbau und die Zuständigkeiten der Bundesbehörden“, wie das Parlamentswörterbuch von http://www.parlament.ch weiss. Soweit kann der potentielle Leserbriefschreiber also beruhigt werden, an den Bundesbehörden will sicher kein Raumplaner rütteln. Woher dann die Aufregung um die Gesetzesrevision? Das wird leider nur erfahren, wer einen anderen der vorgedachten Leserbriefe ganz zu Ende lesen wird:  

„Ein Nein am 3. März wäre die richtige Quittung für diese Kreise, die am liebsten eine Schweiz hätten, die von  velofahrenden Veganern bevölkert wäre.“

Nun, hier gehen Velofahrer und Kreise ja immerhin schon mal auf der metaphorischen Ebene schön zusammen. Sinn ergibt der Satz aber leider immer noch nicht, denn mit dem
letzten Nebensatz hätte ja sicherlich der politische Gegner verunglimpft werden sollen. Stattdessen werden ganz ohne erkennbaren Zusammenhang dessen Gepflogenheiten in Sachen Ernährung und Mobilität diskutiert. Eigentlich schön, hat doch das Menschliche und Persönliche immer zuwenig Platz im politischen Alltag. Gerne würde der Leser aber schon erfahren, was an Velo fahrenden Veganern denn so schlimm ist, dass man sie zum Feindbild der Raumplanung stempeln müsste. Fahren Veganer besonders aggressiv
Velo oder missachten sie Rotlichter? (Nein, da müssen auch andere Velofahrer mitmischen, so viele Veganer gibt es in der Schweiz nicht…) Verlieren sie bei gewagten Manövern übermässig viele Salatköpfe vom Gepäckträger und gefährden so die Verkehrssicherheit? (Gegen matschiges Gemüse auf der Fahrbahn hilft nämlich nicht einmal tonnenweise Streusalz, voll perfid) Oder gibt es dermassen viele Veganer in der Schweiz, dass man sie in corpore am Velofahren hindern muss, damit die Veloweginfrastruktur nicht überfordert ist? Diese Bedenken muss man allerdings ernst nehmen, aber das liegt nicht an den vielen Veganern, sondern an den wenigen Velowegen. Doch sollte man dann nicht die Velowege ausbauen, statt die Veganer zu diskriminieren?
Dabei gäbe es doch durchaus düsterere Szenarien für unser Land, als dass es von Velo fahrenden Veganern bevölkert wäre: Zum Besipiel, dass es von Romanshorn bis Genf von
Gewerbebauten überzogen wäre! Dass Zeitungen Leserbriefe abdrucken, die ihnen gar nicht von richtigen Lesern zugeschickt worden sind! Dass im Vorfeld von Abstimmungen verschickte E-Mails ihre Adressaten nicht von selber finden! Dass Schawinski zum staatlichen Fernsehsender wechselt! Dass das Unterwallis die Atombombe hat, oder das Oberwallis den Hanf!
Und ausserdem gäbe es doch so schöne Berührungspunkte zwischen SGV und Velo fahrenden: Der Veband hat sich auf die Fahne geschrieben, gesetzliche Normen und Vorschriften zu reduzieren (schreckt sich aber vor einer Aushöhlung der Verfassung, siehe oben). Und wenn man dem Volksmund glaubt, dann sind Velo fahrende genau im Ignorieren von Regeln und Vorschriften die reinsten Experten. Der Verband täte also gut daran, Radler (vegan oder nicht, und ungeachtet ihrer reiligiösen Ausrichtung) ins Boot zu holen und sich so ihr Know-How und ihre Stimmen bei der nächsten Abstimmung zu sichern!
Nein, offensichtlich liegt keine tiefere Weisheit in jenem träfen Schlusssatz als: Schuster, bleib bei deinen Leisten. Gewerbler, überlasst die Raumplanung mal den Fachleuten, aber das Velofahren nicht den Veganern. Immerhin: Auch wer keinen Schimmer hat von Raumplanung, weiss nun, was er oder sie am 3. März in die Urne legen soll. Leuten, die eine Velo fahrende Bevölkerung als Schreckensszenario betrachten, ist nicht zu trauen. Also ja zur RPG-Revision!

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